Fast eine Ohrfeige für Martin Puttke und die Tanzstadt Essen

Ben van Cauwenberghs Einstand mit „La Vie en rose“

Essen, 13/10/2008

Eine gute Nachricht zuerst: Essens neuer Ballettchef Ben van Cauwenbergh hat nahezu die gesamte Kompanie von Martin Puttkes Aalto-Ballett-Theater übernommen. Bei seinem Einstand mit „La vie en rose“ glänzte die Truppe durch Eleganz und Geschmeidigkeit – allen voran Taciana Cascelli, Yoo-Jin Jang und Yulia Tsoi mit Partnern in kurzen Duetten sowie Nwarin Gad und Marat Ourtaev (in der Kampfsport-Nummer „Amsterdam“) und Denis Untila als Gilbert Bécaud. Aber: eine Kompanie, die gewohnt ist, Choreografien etwa von Christian Spuck und Johan Inger zu tanzen, ist in van Cauwenberghs fernsehballettigem Arrangement von 2003 darstellerisch und intellektuell völlig unterfordert.

„La vie en rose“ (rosarotes Leben), eins der berühmtesten der bittersüßen Chansons von Edith Piaf, gab der Show zwischen Revue und Musical den Titel. Er wolle „Das Lachen wie das Weinen zeigen“, so Cauwenberghs Verkaufs-Slogan. Das Leben durch die rosarote Brille eines sentimentalen Entertainers von anno dazumal gesehen: ein Clochard (der greise Schauspieler Zygmunt Apostol, Gast aus Wiesbaden) als Conferencier des Potpourris mit „Hits“ von Edith Piaf (teilweise live nachgesungen, am Klavier begleitet von V. R. Olano, zwischen unzähligen Pirouetten von Adeline Pastor, der Wiesbadener Piaf), Gilbert Bécaud (von Untila getanzt im legendären blauen Anzug) und Jacques Brel (der hölzerne Ivan Korneev). Das Ensemble mimt Fröhlichkeit unter dem Regenschirm-behängten Pariser Himmel (Bühne: Dmitrii Simkin): die Mädchen in wippenden, fröhlich bunten Sommerkleidchen, die Jungen in weißen Hemden mit Schlips (Kostüme: Danielle Laurent) als kämen sie geradewegs aus „Ein Amerikaner in Paris“.

Trotz mancher flotten Nummer, aller tänzerischen Eleganz, aller Begeisterung des Publikums hinterlässt dieser Einstand nicht nur, wie befürchtet, einen schalen Geschmack, sondern Bestürzung. Denn: „Dieser Abend ist meine Handschrift, mein Gesicht“, offenbart der Belgier van Cauwenbergh im Programmheft. Das ist eine bittere Pille. Soll's also so hohl, derart altbacken unzeitgemäß weitergehen? Nach all den Jahren konzentrierter, konsequenter Arbeit Martin Puttkes, seine Kompanie in die erste Liga vor allem des zeitgemäßen Handlungsballetts zu führen? Ausgerechnet jetzt, da Köln und Bonn dem Tanz als eigene Sparte am Stadttheater Adieu sagen, an der Rheinoper nach Jahrzehnten klassischen Balletts mit Martin Schläpfer das – wenngleich hochkarätige – abstrakte Ballett Einzug halten wird? Ausgerechnet in der Tanzstadt Essen mit Folkwang-Tanzabteilung und pact Zollverein, den Aushängeschildern für Avantgardetanz – und das, kurz vor Beginn des Kulturhauptstadt-Jahres. Nach der Philharmonie (ohne Intendant Michael Kaufmann) hat nun auch Nachbar Aalto-Theater ein Problem, das es schleunigst zu beheben gilt.

www.theater-essen.de

 

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