Aus einer künftigen Welt?

Wayne McGregor / Random Dance mit „Entity“ in der Karlskaserne

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Ludwigsburg, 15/06/2008

Da hatten die Ludwigsburger und die Stuttgarter ihre Nase ganz vorn! Denn als der damals 34jährige Wayne McGregor mit seiner Random Dance Company im Juni 2004 erstmals in Ludwigsburg auftauchte, kannte ihn hierzulande noch kaum jemand. Immerhin hatte Reid Anderson ihn schon für 2002/03 zum Stuttgarter Ballett eingeladen, für das er im Juni 2003 „Nautilus“ kreierte, gefolgt von „Eden I Eden“ im April 2005. Inzwischen ist er Resident Choreographer des Royal Ballet, reist daneben mit seinem Random Dance durch die Welt und sorgte mit seiner Produktion „Entity“ für erhebliches Aufsehen vor ein paar Wochen beim movimentos-Festival in Wolfsburg – wie nun auch am Sonntagabend in der Ludwigsburger Karlskaserne.

Liest man in seiner Biografie, kann einem Angst und Bange werden. Denn der Mann ist ebenso Choreograf wie wissenschaftlicher Forscher, dem es um den Zusammenhang zwischen dem Gehirn und dem Körper geht. Choreography and Cognition heißt seine Devise, und Fibonacci-Zahlen, Algorithmen, Polymorphie und Mathematik gehören ebenso zu seinem Vokabular wie der Kanon des klassisch-akademischen Balletts und dessen Öffnung für den Einstrom nicht nur aller möglichen zeitgenössischen Bewegungsformen und Anleihen bei den verschiedensten Ethnien rund um den Globus, sondern auch bei den modernen Technologien, bei Filmen, Projektionen und Soundeffekten. Das alles klingt sehr theoretisch und abstrakt, mutet wie die reinste Gehirnakrobatik an – doch wer nichts davon versteht, sieht sich in seinem neuen „Entity“ mit 70 Minuten Tanz konfrontiert, so kompakt, so dicht, so rasant, ausgeführt von vier Tänzerinnen und sechs Tänzern, die sich bewegen, als sei ihnen ein spezieller McGregor-Chip mit einem Geheim-Code implantiert worden.

Auf der leeren Bühne nichts als ein Paneel aus sechs Abschnitten, auf die dann projiziert wird, anfangs und am Schluss die Muybridge-Filmsequenz eines galoppierenden Windhundes, später dann atomisierte Zeichen. Dahinter erhebt sich etwas, was wie eine Krananlage aussieht, die dann auch das Paneel in die Höhe liftet und wieder absenkt. Meine Fantasie assoziierte einen gigantischen Schneeschipptraktor von den Ausmaßen einer Autobahnbreite. Davor die Tänzer, barfuß, mit knappen schwarzen Badehosen und Büstenhaltern (Bühne und Kostüm: Patrick Burnier, Soundcollagen: Joby Talbot und Jon Hopkins, Beleuchtung: Lucy Carter, Digitales Video: Ravi Deepres).

Schwer zu beschreiben, was sich da tänzerisch abspielt – immer in engster Übereinstimmung mit den aus den Lautsprecher dröhnenden knarzenden Geräuschen und den hin und her jagenden Lichtkegeln. Was wir gemeinhin als normale Bewegungen bezeichnen. scheint auf den Kopf gestellt. Köpfe rucken und zucken, Schultern rotieren, senden Wellen, die sich durch den ganzen Körper fortpflanzen, Torsi verbiegen sich und strecken und dehnen die Haut bis zum Zerreißen, so dass man erwartet, jeden Moment das Knochengerüst die Hautoberfläche durchstoßen zu sehen. Körper- und Gliederverknotungen verstricken sich, die man für unauflösbar hält, gefolgt von den schönsten und harmonischsten, absolut synchronen Parallelbewegungen. Und das alles ausgeführt in rasender Geschwindigkeit, als wenn die Tänzer gedopt wären – auf einem schwindelerregend in die Höhe getriebenen Energiepegel. Gesteuert von Gehirnströmen, die offenbar von McGregor exakt programmiert worden sind – seiner ganz persönlichen choreografischen Software. Wonach man vom bloßen Zusehen genau so erschöpft ist wie die Tänzer, die indessen beim Schlussapplaus so freundlich lächeln, als sei das die normalste Art sich zu bewegen. Ist es ja vielleicht auch in einer künftigen Welt. Wofür am Ende jede und jeder eine Rose überreicht bekommt – wie die Prinzessin Aurora in „Dornröschen“.

 

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