America im Abseits von Washington, D.C.

Zu Gast im Deutschen Theater: Hubbard Street Dance Chicago

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München, 21/07/2007

Sie gehören zu den willkommensten Gästen hierzulande: die Tänzer von Hubbard Street Dance Chicago. Gegründet vor genau dreißig Jahren von Lou Conte, seit 2000 der Direktion von Jim Vincent unterstellt, haben sie sich zu einer der vitalsten, kreativsten und sympathischsten amerikanischen Ballettkompanien entwickelt, mit einer Vielzahl ausgesprochen unterschiedlicher Choreografen und besonders engen Beziehungen zum Nederlands Dans Theater.

Ein paar Tage in Münchens traditionellem Gastiertheater, dem Deutschen Theater (einem der sicherlich hässlichsten Theaterhäuser in Deutschland) zu Gast, hatten sie nicht weniger als fünf, durchweg kurzweilige Stücke auf dem Programm, vom Publikum des etwa zur Hälfte gefüllten Hauses lauthals schreiend und johlend akklamiert. Schade, dass es sich dabei anscheinend überwiegend um Teenager handelte, die sich selbst mehr als die Tänzer auf der Bühne feierten. Die Chicagoer hätten ein seriöseres Publikum verdient (oder bin ich einfach zu alt, um Verständnis dafür zu haben?).

Fünf Choreografen – vier Amerikaner und ein Europäer. Den Anfang macht Daniel Ezralow mit „SF/LB“ – was immer das zu bedeuten hat – zu Leonard Bernsteins „Prelude, Fugue and Riff“ – eine amüsante Visitenkarte, die ganze Kompanie in schwarzen Ausgehanzügen – eine Staccato- (oder Pizzicato-)Etüde des pulsierenden Hüpfens – die aber nichts mit Hip-Hop zu tun hat. Die Tänzer: lauter bestens konditionierte Boys und Girls.

Dann das schon bekannte „Kiss“-Duo von Susan Marshall (das ist die Dame, die schon vor Daniela Kurz Philip Glassens „Les enfants terribles“ zur Uraufführung gebracht hat). Ein höchst origineller Luft-Kuss, weit entfernt von Rodin, Klimt und Schiele –, denn die beiden anonymen Partner hängen an Seilen und praktizieren die Technik der Mund-zu-Mund-Begegnung überwiegend als aerodynamischen Akt. Sollte man vielleicht auch einmal ausprobieren! Nummer drei sodann Twyla Tharps ebenfalls schon bekanntes „Baker‘s Dozen“, ein eleganter Schwof zu pianistischem Geplinkere von Willie „The Lion“ Smith, sozusagen tongue-in-cheek, was man hier vielleicht am zweckmäßigsten mit fußzwinkernd übersetzen sollte. Sehr amerikanisch, sophisticated: Ballroom Dancing, ballett-legiert.

Nach der ersten Pause folgt als europäisches Divertimento „Gnawa“ – auch wieder so ein nicht unbedingt zum Sehen einladender Titel – von dem Spanier Nacho Duato. Unverkennbar Jiří Kylián-geprägt, sehr streng, spanisch-afrikanisch gewürzt, ausgesprochen ritualistisch – in eine Art Totenfeier mündend. Entsprechend die lugubre Stimmung mit den Friedhofsleuchten. Die Kompanie beeindruckend uniform in den Linien.

Nach der zweiten Pause „Palladio“ vom Kompaniechef Jim Vincent zu einer durchaus tanzinspirierten Musik von Karl Jenkins, der vorgibt, von der Architektur des berühmten toskanischen Baumeisters inspiriert worden zu sein. Na ja! Dessen klare, reine und helle, sich so harmonisch der Landschaft einfügenden Villen, wo alles harmonisches Einvernehmen von Natur und menschlicher Konstruktion ist, fand ich in der Choreografie von Vincent in keiner Weise reflektiert – eher schien es mir um sehr gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Individuum um Masse zu gehen, sehr kraftvoll, bis zur Brutalität gehend – aber auch das ist ja ein Aspekt des heutigen Amerikas. Jedenfalls hat uns Chicago da einen der sympathischsten tänzerischen Botschafter Amerikas geschickt, aus dem Abseits des offiziellen Bush-Amerika von Washington. D.C.

 

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