Geschichten, die der Körper erzählt

Die Russell Maliphant Company in der Karlskaserne

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Ludwigsburg, 17/06/2005

Schwer vorstellbar, dass dieser Mann mal an der Londoner Royal Ballet Senior School den Preis als bester Schüler bekommen und dann den Blauen Vogel beim Sadler‘s Wells Royal Ballet getanzt hat! Nichts deutet beim Auftritt des inzwischen dreiundvierzigjährigen Russell Maliphant samt Company in der Ludwigsburger Karlskaserne auf seine klassische Herkunft hin. Aber dann hat er sich auch bald ins Off des Balletts begeben, war Mitglied des DV8 Physical Theatre und hat sich in der Welt umgesehen. Fündig geworden ist er besonders bei den diversen fernöstlichen Tanzstilen und -techniken, darunter Martial Arts, Hata Yoga und T‘ai Chi, aber auch bei der Contact Improvisation und bei den Body-Mind Centering Praktiken. Die hat er zu einem sehr eigenen Idiom „fusioniert“, das er jetzt in Ludwigsburg an drei „Stücken“ vorführte, einem von ihm selbst getanzten Solo „One Part II“, einem zusammen von ihm und Anna Williams getanzten Duo „Sheer“ und an einem von Miquel de Jong und Michael Pomero getanzten Duo „Critical Mass“. Das war dann auch schon die ganze Company.

Alle diese Stücke haben einen sehr hohen Abstraktionsgrad, alle scheinen aus der Stille geboren – und aus den von Michael Hull peu à peu aus dem Dunkel gestalteten Lichträumen. Sie scheinen handlungslos, und doch erzählen sie Geschichten – aber keine mit narrativen oder auch nur emotionalen Inhalten, sondern es sind Geschichten, die die Körper erzählen, aus der Isolation, aus der Wirkung auf einander, aus ihrer Verschmelzung. Es sind Prozesse, die da stattfinden, und sie sind von einer ganz unglaublichen, ausgesprochen spannenden Faszination. Ein Körper, der mit sich selbst ringt – ein Prozess der Artikulation. Zwei Körper, die aus der Distanz auf einander zuwachsen, in parallelen oder spiegelhaften Synchronbewegungen, dann in Kanonform miteinander wetteifern, dann zu einem Körper mit vier Beinen und vier Armen werden, zu einer Gruppenplastik aus einem Leib mit den komplexesten Verschränkungen.

Es sind Choreografien, die des minutiösesten Timings bedürfen, ungeheuer risikoreich in den Sprung- und Fangaktionen. Mich erinnerten sie stark an die Bewegungs- und Kampfsequenzen in den neuen chinesischen Filmen. Und sind und bleiben doch ganz Tanz, mit flutenden Energieströmen, oft zeitlupenhaften, langphasigen Motionen, die von einer geradezu kontemplativen Ruhe sind. Eine beglückend neuartige Tanzerfahrung – Ludwigsburgs inoffizieller Programmbeitrag zum „Theater der Welt“.

 

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