Der Große und seine drei jüngsten Geschwister

Die Essener Tanzpreis-Gala

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Essen, 26/02/2005

Drei Top-Ereignisse zu gleicher Stunde entlang der Neckar-Rhein-Ruhrschiene: in Heidelberg der zweite Anlauf von Irina Pauls Tandem-Kompanie – in Mainz die neue Martin-Schläpfer-Premiere – und an der Ruhr der 21. Geburtstag von Ulrich Roehms Deutschem Tanzpreis. Da komme ich mir fast wie der legendäre Paris der Antike vor und kann nur hoffen, dass mein Entscheid für Essen nicht den katastrophalen Kollateralschaden auslöst wie seinerzeit die Wahl des hellenischen Prinzen für eine der drei Schönen von Attika!

Zum 21. Mal also der Deutsche Tanzpreis, der in diesem Jahr an Hans Herdlein ging, dem seit über dreißig Jahren amtierenden, sich immer wieder mit besonderem Nachdruck der Sache des Tanzes und speziell der Tänzer annehmenden Präsidenten der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger – länger als irgendeiner unserer Reichs- und Bundeskanzler von Bismarck bis Kohl! In seiner launigen Laudatio pries denn auch Norbert Lammert, Vizepräsident des Deutschen Bundestages, die nicht hoch genug einzuschätzenden Verdienste unseres Mannes aus Hamburg. Und verstand es dabei, seiner Würdigung eine Aschenbrödel-Perspektive abzugewinnen – mit dem Licht am Ende des Tunnels, dem Tanzplan Deutschland 2010. Das Wort des Vizes ins Ohr unserer Politiker! Neu und überaus begrüßenswert ist die Stiftung eines Deutschen Tanzpreises „Zukunft“ durch den Verein zur Förderung der Tanzkunst in Deutschland in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Berufsverband für Tanzpädagogik.

Er ist mit dreimal dreitausend Euro dotiert und ging für 2005 an Polina Semionova vom Staatsballett Berlin (Kategorie: Tänzerin), an Flavio Salamanka vom Ballett des Badischen Staatstheaters Karlsruhe (Tänzer) und an Thiago Bordin vom Hamburger Ballett (Choreograf). Mit der hübschen Pointe der Bewerbung der beiden Städte Karlsruhe und Essen/Ruhr als Kulturhauptstadt Europas 2010 – wofür der anwesende Generalintendant aus Karlsruhe wohl ebenso beredt geworben hätte, wenn er denn zum Zuge gekommen wäre, wie der Essener Oberbürgermeister in seiner Begrüßungsansprache – ging es dann ans Feiern: ein Tanz-Menü aus sieben Gängen, beginnend mit Balanchines „Apollo“ (in der Kurzfassung) und endend mit dem Wiener Schoko-Dessert des „Kaiserwalzers“, direkt aus der K. u. K.-Hof-Patisserie Birgit Keils für den Karlsruher Schlossball.

Dazwischen lauter Gusto-Stückerl: Bordins „Lieder“-Sextett für die Karlsruher Solisten-Equipe um Salamanka, Petipas Champagner-Sorbet, serviert von Prinzessin Aurora und Prinz Desiré alias Polina Semionova und Ronald Savkovic, als Memorial an Uwe Scholz sodann Adagio und Fuge aus seiner „Großen Messe“, von den Leipzigern ausgezirkelt wie ein choreografischer Lehrsatz des Pythagoras. Und als Zwischengericht ein Pas de deux aus Jörg Mannes‘ „Liaisons Dangereuses“ (mit Anais Chalendard und Salamanka) und John Neumeiers Frühlings- und Herbst-„Duett“ mit Hélène Bouchet und Bordin. Großer Jubel in Essens schönem Aaltotheater – und vier Stunden lang schien die Welt des Tanzes – obgleich die Redner es nicht an mahnenden Worten fehlen ließen – so wunderbar heil und in Ordnung, wie man es sich das ganze Jahr über wünschte.

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