Bunter Hühnertanz am Fuß des Kolosseums
Frederick Ashtons „La Fille Mal Gardée“ in der römischen Oper
Heute jährt sich zum hundertsten Mal der Geburtstag von Frederick Ashton. Doch in unseren Landen herrscht fast komplette Tanzstille, was seine Ballette betrifft. Als einzige unserer großen Kompanien kündigt Hamburg eine Neueinstudierung seiner global unvermindert populären „Fille mal gardée“ an, während sich weder Stuttgart noch München zu einer Wiederaufnahme entschließen konnten. Sehr im Gegensatz zu Balanchine, dessen hundertster Geburtstag das ganze Jahr über, ja bis ins nächste Jahr hinein gefeiert wird.
Ist Sir Frederick, den die Engländer als ihren choreografischen Nationalheiligen verehren, historisch betrachtet, nur von insularer Bedeutung? Das wohl nicht – dafür sorgt schon die nach wie vor fortwirkende Commonwealth-Verbundenheit des ehemaligen Empires. Doch selbst in Canada und Australien erscheint er nur selten auf dem heutigen Spielplan. Kontinuierlich gepflegt wird er in den Vereinigten Staaten lediglich vom Joffrey Ballet in Chicago. Nicht einmal das American Ballet Theatre war beteiligt an der elftägigen Ashton-Retrospektive, die das Lincoln Center Ashton Centenary Festival im Juni veranstaltete, bestritten vom Royal Ballet, dem Birmingham Royal Ballet, der K-Ballet Company aus Tokyo (das ist die Truppe von Tetsuya Kumakawa) und eben dem Joffrey Ballet. Wie man lesen konnte, hielt sich das Publikumsinteresse durchaus in Grenzen.
Als Reid Anderson sein Amt in Stuttgart antrat, hatte er wohl vor, eine seiner Repertoire-Säulen auf Ashton zu gründen. Weswegen er gleich in einer seiner ersten Planungen die deutsche Erstaufführung von Ashtons „Symphonic Variations“ ankündigte. Doch die sehr laue Aufnahme der „Monotones“ ließ ihn davon wieder Abstand nehmen. Vielleicht erinnerte er sich ja auch daran, dass die Stuttgarter den Ashtonschen „Enigma Variations“ beim Gastspiel des Birmingham Royal Ballet die kalte Schulter gezeigt hatten.
Immerhin hatte Cranko noch für die letzte Premiere des Noverre-Balletts im Mai 1973 im Kleinen Haus „Les Patineurs“ importiert (einstudiert von Robert Mead, mit Carl Morrow als Blue Skater), die aber schon bei der Premiere als ziemlich albern empfunden und nicht mehr in die neue Spielzeit übernommen wurden. Nein, mit Ashton ist hierzulande wohl kein Staat zu machen, ausgenommen allein seine „Fille mal gardée“. Ich bedauere das – nicht nur seiner Musikalität, seiner Kultiviertheit, seiner warmen Humanität, seiner noblen Umgangsformen und seines kauzigen, allerdings sehr englischen Humors wegen. Aber den hiesigen meinungsbildenden Instanzen gilt er wohl allzu sehr als Vertreter einer typisch englischen „Teacup Gentility“.
Dabei böte er ein ausgesprochen komplementäres, sehr europäisches Pendant zu Balanchines kühlerem amerikanischen Klassizismus. Nicht zufällig hat ein amerikanischer Kommentator seine Choreografie als „Architektur des menschlichen Herzens“ gewürdigt. Ich könnte mir seine „Scenes de ballet“, seine „Symphonic Variations“ oder seinen „Monat auf dem Lande“ gut im Repertoire des Zürcher Balletts vorstellen. Und ganz sicher fände er im Kritiker der „Neuen Zürcher Zeitung“ einen glühenden Verehrer seiner so ausgesprochen aristokratischen Kunst!
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