„Vier“ - ein universaler Ansatz von Johannes Faber und Philip Taylor

Improvisierte Jahreszeiten im Gärtnerplatztheater

München, 16/11/2003

Eine große japanische Trommel links, eine konkav ansteigende Rampe hinten in der Mitte und rechts Percussioninstrumente - in diese meditative Bühnenlandschaft, die der kahlköpfige Tänzer Damien Liger erschließt, prologieren Einzelworte aus dem Off, die sich in mehrsprachigen Echos überlagern. Es geht um die jeweils vier Lebensalter, Elemente, Tageszeiten, Himmelsrichtungen und Jahreszeiten, assoziert mit Japan, Afrika, Amerika und Russland. Der kahlköpfige Komponist Faber hockt wie ein Vogel auf der Bühne und steuert Gezwitscher bei. Das Eröffnungssolo von David Rosso mit seinen schönen, tiefen Bewegungen und interessanten Drehungen wird zum Duett mit einer Tänzerin, weitere kommen hinzu und bilden ein atmendes Ensemble. Bei guter Raumaufteilung wird leidenschaftlich getanzt, die Truppe ist hellwach und hat Mut zur großen Form, wie sie in der Ästhetik des Bühnenbildes von Claudia Doderer angelegt ist. Nur hat die Musik, die um ein Volkslied aus Japan (Sakura) kreist, ebenso wenig wie das Spiel der Schlaginstrumente viel frühlingshafte Frische.

Doch in schönem Übergang führt Philip Taylor mit einem Solo von Alan Brooks in den afrikanischen Teil, dessen musikalisches Thema Andaleni Oboduo, auch einem Volkslied, entspringt. Vier weitere Soli von Tänzern folgen, alle sehr unterschiedlich, weil Philip Taylor hier auf Einzelimprovisationen beruhende Angebote seiner Tänzer einarbeitet. Am „afrikanischsten“ mit seiner rituellen Manege wirkt der fünfte, ehe als erste Frau die dunkelhäutige Courtney Blackwell andeutet, welche narrative Lebensfreude man zum bloßen Händeklatschen kreieren kann. Dann kommen alle singend dazu, und es beginnt eine afrikanische Party mit aufgedrehten Paartänzen. Der Gesang ist live, der Komponist stößt kräftig in seine Trompete, das Ganze macht Zuschauern und Tänzern großen Spaß und … bricht ab. War hier einmal eine Pause geplant?

Zu Contrabass und Percussion beginnt der amerikanische Teil, zu dem der Jazzer Johannes Faber die Musik am eigenständigsten komponierte. Er besteht aus vier Pas de deux, von denen der dritte, der im Gegen- bzw. Miteinander der zickig-charmanten Annett Göhre mit Ihsan Rustem am unterhaltsamsten ist. Die herbstlichen Bilder von der Beziehung der Geschlechter brechen ab, hinten rutscht der kahlköpfige Tänzer die Rampe runter, und zu seinen beiden Seiten beginnt ein Paar, langsam nach vorn und zurück zu gehen. Mit diesem Paar wird alles frostiger und starrer, während sich beide umschauen und die Streicher im Orchester monoton karge Töne streichen. Wärmere Klänge nach dem russischen Wiegenlied „Spi mladjenec“ werden vernehmlich, wenn dieses Paar sich festhält und zum Schlaf legt. Die Gruppe macht mit dem Rücken zum Publikum langsame, rätselhafte Bewegungen, aber diese fließen organisch. Irgendwann kommt in die Formation Bewegung und ersteigt der Tänzer hinten wieder die Höhe. Das Paar erwarten, wenn es aufwacht, andere Menschen. Es bewegt sich wenig, doch die Spannung wird gehalten. Dieser russische Teil, sehr winterlich, weist am meisten über sich hinaus und ist der beste. Quintessenz als Schlusssatz wird schnell zu einem Tutti aller, das sowohl seitens der Musiker als auch seitens der Tänzer aus der Improvisation lebt.

Es ist ein guter Rahmen geschaffen, zu dessen Gefälligkeit auch die in hellen Naturfarben gehaltenen Kostüme von Claudia Doderer beitragen. Doch spätestens wenn mit den schnellen Beleuchtungswechseln ein scheinbar wildes Durcheinander anhebt, wird das Problem diese Abends sichtbar. Philip Taylor hat sich in der Zusammenarbeit mit Faber mutig auf ein Projekt mit ungewissem Ausgang eingelassen, hat seine Compagnie dazu bestens motiviert und demokratisch viele Angebote aufgegriffen, hat selbst auch gute Lösungen und konzentrierte Momente inszeniert. Doch eine eruptive Kraft erreicht das Ganze nie, sondern dreht sich über weite Strecken um sich selbst. Das ist schade. Vielleicht sollte man künftig auf stärkere Musik und auf mehr klassisches Training setzen, damit die Qualität der Bewegung selbst als Medium für Konzepte aller Art tragfähiger wird, als sie es zur Zeit ist. Es muss ja nicht gleich darum gehen, „die große Angelegenheit von Leben und Tod zu klären“.

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