Ein wirklicher Stuttgarter Tänzer

Zum Ende der Bühnenkarriere des Stuttgarter Ersten Solisten Tamas Detrich

Stuttgart, 25/07/2002

Es ist aus und vorbei! Seit dem vergangenen Donnerstag gehört Tamas Detrich nicht mehr zum tanzenden Personal des Stuttgarter Balletts. Er bleibt der Compagnie zwar zum Glück als Ballettmeister erhalten, denn Erfahrungen hat er wahrhaftig genügend weiterzugeben, aber auf der Bühne werden wir ihn nicht mehr sehen. Da mochten die Fans auch die Zeit anzuhalten versuchen, indem sie mit stehenden Ovationen, zahllosen aus dem Zuschauerraum geworfenen Blumensträußen, die sich mit den offiziell überreichten und dem nicht enden wollen Regen aus Blütenblättern aus dem Schnürboden zu einem unvergesslichen Bild mischten, diesen Abschiedsabend immer mehr verlängerten.

Tamas Detrich verbeugte sich weinend, mit Mühe die Fassung bewahrend, vor seinem Publikum, presste die Hände an sein Herz, kniete vor der versammelten Compagnie nieder, die ihm applaudierte. Seine ehemalige Chefin und Förderin Marcia Haydée und Ballettintendant Reid Anderson kamen auf die Bühne, und nach einer guten halben Stunde des Jubelns stimmte das Publikum „Happy Birthday To You“ an, denn Detrich hatte sich für den Abschied ausgerechnet seinen 43. Geburtstag ausgesucht. Eine Ära des Stuttgarter Balletts ist zu Ende gegangen.

Wir erinnern uns an die Mitte der Siebziger, in denen das Publikum in den Aufführungen der John-Cranko-Schule erstmals auf diesen hoch gewachsenen, dunkelhaarigen, jungen Amerikaner mit den blitzenden Augen aufmerksam wurde - aus dem wird noch was! Im Jahre 1977 holte ihn Marcia Haydée als Corpstänzer in jene Truppe, deren Gründer John Cranko erst vier Jahre zuvor gestorben war und die buchstäblich noch seinen Geist verkörperte. Kaum ein Mitglied in ihr, das nicht unter Cranko getanzt hatte. Detrich sog diese einzigartige Atmosphäre in sich ein und entwickelte sich langsam aber nachhaltig zu einem „Stuttgarter Tänzer“ reinsten Wassers.

So eroberte er sich nach und nach die großen Rollen des Repertoires von Jiri Kylian, über Hans van Manen, John Neumeier, Uwe Scholz - viele davon für ihn kreiert- bis vor allem Cranko, die ihn zu jenem großen Menschendarsteller formten, von dem Abschied zu nehmen uns nun so schwer fällt. An seinem letzten Abend konnte er in der Titelpartie des „Onegin“, wohl die Rolle seines Lebens, an der Seite von Yseult Lendvai noch einmal seine tänzerische Grandezza zeigen, seinen Bewegungsadel, die Vornehmheit eines wirklichen Danseur noble, wie er heute so selten geworden ist, seine Qualität als Partner. Aber was wir am meisten vermissen werden, das ist seine menschliche Würde, mit der er die Negativfigur Onegin zu einem Charakter formt, dessen Hochmut ihn in die Irre leitet, und dem am Ende des fulminanten, herzzerreißenden Schluss-Pas-de-deux unser Mitgefühl ebenso gilt, wie der Tatjana, die er einst so leichtfertig abgewiesen hat.

Wenige Tage vor seiner Abschiedsvorstellung hat Tamas Detrich das Publikum gebeten, es solle nicht so viel weinen. Nun haben sie doch alle geweint, und seine Kollegen, und er am meisten. Aber was soll man als Ballettliebhaber denn anderes tun, wenn fünfundzwanzig Jahre Zuschauerglück endgültig beendet werden, wenn auch in so bewunderungswürdiger Manier. Tamas Detrich, der letzte Tänzer der Cranko-Ära, hat seinen Abschied genommen. Dem Publikum schließlich bleiben seine Erinnerungen und ein Gefühl tiefer Dankbarkeit.

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