Gala zur Verleihung des Deutschen Tanzpreises 2001

oe
Essen, 15/09/2001

Diesmal also zu Ehren Hans Werner Henzes, der gerade seinen 75. Geburtstag gefeiert hat. Reichlich spät also! Immerhin liegt Henzes letzte große Ballettkreation fast ein Vierteljahrhundert zurück: „Orpheus“, choreografiert vom jungen William Forsythe 1978 in Stuttgart. Und seither nur noch 1986 von Ruth Berghaus in Wien und 1988 von Heinz Spoerli in Basel. Was schon deutlich macht: mit Henzes Ballettreputation ist es in den letzten Dezennien spürbar abwärts gegangen – rapide sogar seit den unglückseligen „Tanzstunden“ 1997 in Schwetzingen. Weswegen es absurd wäre, ihn als einen der Jahrhundert-Ballettkomponisten Strawinsky oder Prokofjew an die Seite zu stellen. Die Verleihung des Preises an Henze für sein Lebenswerk kann nicht darüber hinwegtäuschen: als Tanzpreis kommt sie ein Vierteljahrhundert zu spät.

Die Wahl seines „Orpheus“ als Neueinstudierung und Festvorstellung erwies sich dabei als topaktuell. Denn in Edward Bonds Libretto fungiert Orpheus nicht nur als musikalischer Friedensstifter, sondern auch als Menschheitsversöhner. Und was könnte uns in diesen Tagen der Trauer willkommener sein. Auch zeigte sich wieder: Die Partitur ist eins von Henzes innovativsten Werken – ihr wohnt auch heute noch eine geradezu explosive Sprengkraft inne. Ihre Aufführung durch die Essener Philharmonie unter der Leitung von Patrik Ringborg war denn auch das eigentliche Glanzereignis des Abends.

Nicht so die Bühne. Wenn es sich da wirklich, wie behauptet, im Wesentlichen um ein Remake des Basler Originals von 1988 gehandelt haben sollte – wieder mit Ernst Peter Hebeisen als Bühnenbildner und Randi Bubat als Kostümbildnerin –, dann wurde uns spätestens an diesem Abend klar, dass, was vor dreizehn Jahren noch durchaus vielversprechend schien, heute nicht mehr gilt – dass wir unser eigenes Urteil von 1988 revidieren müssen. Denn in Essen wurde eklatant deutlich: Spoerli, sonst doch einer unserer für Musik sensibelsten Choreografen, hat diese Musik Henzes nicht in den Griff bekommen – weder dramaturgisch (das Ballett ist schlecht erzählt) noch strukturell (die einzelnen Szenen wirken wie eine zusammengestoppelte Flickschusterei) und auch nicht stilistisch. So gewinnt das Ballett keine Identität, langweilt streckenweise und addiert sich so zu einem alten Ballettschinken aus Opas Tagen, mit ein paar peinlichen Entgleisungen (die Kostümierung der Höllenfürsten und die Revueauftritte ihrer Kanalarbeiter als Funeralisten): Routine anstelle von Inspiration.

Darunter leiden nicht zuletzt die Tänzer, die wackeren Essener, aber auch die eigens engagierten Stars. Am glaubhaftesten noch Raimondo Rebeck als zum Kampf entschlossener Orpheus, Margaret Illmann mit ihrer unsäglich matronenhaften Frisur ist als Eurydike allerdings kaum wiederzuerkennen und der goldwiddergehörnte Apollo von Gregor Seyffert mutet wie eine Parodie an. Manchmal passieren auch einem so ausgepichten Profi wie Spoerli solche Blackouts wie seinerzeit sein Byron-Ballett „Childe Harold“ 1981 an der Deutschen Oper Berlin – und manchmal eben auch uns Kritikern, zum Beispiel mir, der ich meine Kritik über die Schweizer Erstaufführung des „Orpheus“ 1988 in Basel heute mit betroffener Verständnislosigkeit wiedergelesen habe.

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