Miko Fogarty in „First Position“ von Bess Kargmann

Miko Fogarty in „First Position“ von Bess Kargmann 

Ballett in Zeiten des Kapitalismus

Die US-Journalistin Bess Kargman präsentiert mit „First Position“ ihren ersten Dokumentarfilm.

Der Film zeigt hautnah das harte Leben junger Tanztalente und ihrer Familien.

ASCOT ELITE FILMVERLEIH GMBH, 17/06/2013

Journalistin Bess Kargmann liebt das Ballett, also wurde es zum Thema ihres ersten Dokumentarfilms. In „First Position“ begleitet sie junge Tänzer, die am Youth America Grand Prix teilnehmen, einem der wichtigsten Ballett-Wettbewerbe der Welt. Der Film zeigt glitzernde Tutus, strenge Trainer, Gewinner im Scheinwerferlicht und hohe Ballettkunst – aber auch entnervte Mütter, zum Tanzen gedrängte Jungs und Enttäuschungen. Vor allem aber bietet der Blick einmalige Einsichten in das Kultur-Fördersystem des Raubtierkapitalismus.

Schauplatz San Francisco, Kalifornien: Hier lebt die zwölfjährige Miko Fogarty, zweifelsohne ein federleichtes Balletttalent. Und ihre Mutter rotiert deswegen. Sie setzt die ganze Familie auf leichte Gesundheitskost, damit Tochter und Sohn (er muss auch zum Training) nicht fett werden. Sie verordnet den Kindern mit Viktor Kabaniaev den härtesten, russischen Trainer der Stadt, und sie ringt ständig mit sich selbst, ob sie alles richtig macht. Typisch überehrgeizige Ballettmutter, neigt der Betrachter da zu sagen. Doch der Knackpunkt ist, dass in den USA ein Tanztalent ohne solch eine Mutter leider zu nichts kommt. Der Youth America Grand Prix ist keine Veranstaltung, zu dem Eltern ihre Kinder aus Eitelkeit schicken, sondern ein Umschlagplatz für Stipendien und Engagements. Wer Talent hat, aber kein Geld für eine Profiausbildung, muss dort reüssieren und vorher entsprechend dafür arbeiten.

Rund 50.000 Dollar kostet das letzte, entscheidende Jahr an einer renommierten US-Ballettschule, was sich nur wenige leisten können. Die Familien kleiner Tänzer sind deshalb gezwungen, für das erleichternde Stipendium über Jahre alles, was sie haben, mit Trainern und Choreografien zu verbrennen, um sich wenigstens diese Riesensumme für das Diplom zu sparen. Ballettunterricht ist in den Staaten noch teurer als bei uns der Eiskunstlauf, zeigt „Forst Position“ ganz nebenbei. Die Stundenlöhne der Lehrer summieren sich locker auf über 300 Dollar pro Monat, eine Wettkampf-Choreografie von fünf Minuten kostet 1500 Dollar. Dazu kommen die Kosten für Reisen zu Wettbewerben, Kostüme, Spitzenschuhe (täglich 80 Dollar).

Erringt ein junger Tänzer – die Ochsentour zu Wettkämpfen beginnt bereits mit acht! – dann tatsächlich einen Ausbildungsplatz am American Ballet Theatre, an der Mailänder Scala oder an der Australian Ballet School, oder auch ein Engagement an einem großen Theater, sieht er sich dem neuen Kampf gegen den Stellenabbau im Kulturbereich gegenüber... Kein Wunder also, dass Mutter Fogarty ständig am Rande des Nervenzusammenbruchs steht!

Bemerkenswert ist auch, wie stark der Einfluss der russischen Schule inzwischen auf die internationale Tanzausbildung ist. Natürlich lernen Miko in San Francisco, ebenso wie der 16-jährige Kolumbianer Joan Sebastian Zamora in New York, der elfjährige Aran Bell in Mailand und die 14-jährige Michaela DePrince in New Jersey nach dem Waganowa-System.

Doch was beim Wettkampf das entscheidende Plus bringt, decken Bess Kargmanns farbenprächtige, glasklare Bilder mit irritierender Begeisterung auf: Akrobatik. Zwischen Scheinwerferspots und Flitterkostümen halten die Kinder endlose Balancen, beugen ihre Cambrés rückwärts bis zum Erdboden, überdehnen sich an der Stange in 220 Grad-Spagaten. Miko saust beim Grand Prix durch Kitris Défilé aus „Don Quichote“ als wäre sie eine 20-jährige Osipova.

Vor dem Hintergrund ist es beeindruckend, mit welcher Kraft und inneren Ruhe die Protagonisten ihr Training absolvieren. Kinder bewegen sich für ihr Leben gerne – auch das zeigt „First Position“. Wenn Kargmann die jungen Talente zu Wort kommen lässt, lernt der Zuschauer gescheite, konzentrierte Menschen kennen, denen er zutraut, auch nach der Tanzkarriere prächtig durchs Leben zu kommen. Mikos kleiner Bruder, am Ballett eigentlich gar nicht interessiert, zieht daher auch ziemlich schnell Konsequenzen: „Ich habe meiner Mutter gesagt, dass ich aufhören will“, erklärt er entschlossen, ungeachtet ihrer Tränen.

Kommt so eine eisenharte Ballettwelt auch auf uns zu? Angesichts des Besenkammerdaseins, das die Kunst in Zeiten des Neoliberalismus derzeit führt, und der damit einhergehenden öffentlichen Sparmaßnahmen, ist es zu befürchten. Sicher, das kapitalistische System hat auch gute Seiten. Ein Mädchen wie Michaela DePrince, afrikanisch, mit einer Pigmentstörung geboren und „eher ein Adler als ein Schwan“, würde in Deutschland nie Aufnahme an einer staatlichen Ballettschule finden. Beim Youth America Grand Prix schafft sie es dank ihrer unglaublichen Kraft dagegen bis ans ABT. Doch Toleranz sollte sich eine aufgeklärte Gesellschaft nicht so teuer erkaufen müssen. Tanz braucht staatliche Förderung. Das macht „First Position“ klar.

http://www.first-position-film.de/#home

 

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