Teil 2: FEEDBACK [2ND EDITION] AM TANZQUARTIER WIEN

Festivalblog von Anna Wieczorek

„FEEDBACK [2nd edition]. Ein Ausschnitt aktueller Tanz- und Performancekunst aus Österreich im Blick von Tanzquartier Wien“, so der offizielle Titel des heuer zum zweiten Mal stattfindenden Festivals.

Wien, 27/04/2013

„Ohne Nix“, so der programmatische Titel der ersten Abendveranstaltung, ist ein vergnügsamer, kurzweiliger Abend, wo aus „Nix“ ziemlich viel entsteht. Zu Beginn schweben zwei Köpfe im leeren Raum. Mittels Video-Mapping sind die beiden Gesichter der Performer Luke Baio und Dominik Grünbühel exakt auf ihr eigenes Ton-Konterfei projiziert. Der Effekt ist überraschend überzeugend. Und während sich die beiden Bilder ihrer selbst im Plauderton über den kommenden Abend unterhalten, tauchen im Hintergrund die „echten“ Körper der Performer im Bühnenraum auf. Sie stellen ihren (gescheiterten) Prozess der Annäherung an das „Nichts“ dar, das ihre virtuellen „Ichs“ zugleich auf ironische und humorvolle Art kommentieren. Denn es ist gar nicht so einfach „ohne nix“ dem Nichts nahezukommen – das mussten die Beiden in ihren Vorproben dieser Uraufführung feststellen. So landen sie im Endeffekt bei allerlei körperlichen wie technischen Spielereien und zuletzt bei der eigenen Biografie und einem unterschätzen Klassiker der 90er Jahre: „I am blue dabendidabendei“.

Auch wenn die Dramaturgie des Abends teilweise fragwürdig erscheint, verbindet sich der Baukasten der verschiedenen „nichts-sagenden“ Elemente doch zu einem experimentfreudigen und selbstironischen Abend, der Spaß macht – gerne mehr davon!

Nach einer kurzen Kaffeepause folgt schon die nächste Abendveranstaltung: „Lumen. Raum Sehen II“ sehen von Stefanie Wilhelm. Die Choreografie beginnt mit einer Ansage: Die Choreografin kündigt die völlige Verdunklung des Zuschauerraums an, derer es für das vollendete Erlebnis ihrer Lichtchoreografie bedarf.

Als besagte Vorhersage eintritt, flüstert ein kleiner Junge hinter mir erschrocken: „Mama, ich seh dich nicht!“, woraufhin sie leise antwortet: „Psst! Aber ich kann dich spüren“ Dieser kurze Wortwechsel fasst ganz gut zusammen, wie die tatsächlich gänzliche Dunkelheit den Zuschauer auf sich selbst zurückwirft. Man sieht absolut nichts, erfährt aber umso mehr das gemeinsame Erlebnis „Publikum“. Der kleine Junge hält leider nicht bis zum Ende durch und wird mit Hilfe einer Taschenlampe rausgelotst, aber die übrigen Zuschauer finden sich langsam in der uneingeschränkten Dunkelheit, die sie umgibt, zurecht. Zumal jetzt ein kleiner Lichtpunkt in der Tiefe des Bühnenraums sichtbar wird. Oder ist das nur eine Täuschung?

Die eigene Wahrnehmung wird kontinuierlich auf die Probe gestellt, während man die einzelnen Lichtpunkte verfolgt, die sich zu Balken ausdehnen und auf einmal Flächen sind. Flächen, die sich zueinander so aufbauen, dass daraus Räume werden. „Lumen Raum Sehen II“ ist Choreografie in einem erweiterten Sinne, denn hier geht es um bewegte Körper als (Licht-)objekte die sich im Raum materialisieren. Und plötzlich ist da ein Mensch inmitten der Lichtwände, ein Schema, dem man zunächst nicht ganz traut, weil so vieles von einem zum anderen Moment wieder verschwindet und man erneut mit sich allein ist. Ein intensives Wechselspiel aus Licht und Dunkelheit mit der Intention den „Akt des Sehens selbst zum Tanzen bringen“ wie es im Pressetext heißt. Und das funktioniert, denn wenn (oder weil) man auch keine Körper tanzen sieht, so tanzt es doch im eigenen Kopf. Ein Erlebnis, das die eigene Seherfahrung hinterfragt und zugleich ein neues Sehen ermöglicht.

Nach einem kurzen Durchatmen auf dem sommerabendlichen Hof des Museumsquartiers – bei dem Wetter der Hot-Spot vieler junger Leute – geht’s für mich in die letzte Uraufführung am heutigen Tag: „MASH UP“ - ein „ready-made“ der besonderen Art. Roland Rauschmeier hat in der Konzeption dieses Abends vier der renommiertesten Tänzer und Performer der österreichischen Szene zusammengebracht, und dazu aufgefordert jeweils eine ihrer bereits bestehenden Arbeiten in einer einzigen, gemeinsamen Choreografie zu verschränken.

Paul Wenningers „Imbue“ steht am Anfang des viertteiligen Abends und dabei hat dieser zunächst den Bühnenraum für sich, den er Stück für Stück mit verschiedenen Requisiten auffüllt und sich körperlich zu den gebauten kleinen Wohnzimmergeschichten verhält. Das funktioniert so lange, bis die übrigen Teilnehmer dieses kollaborativen Versuchs dazukommen. Weder Philipp Gehmachers sanftes und vorsichtiges Tasten die besondere aber eben feine Körperlichkeit, die er für „Incubator“ im Zusammenspiel mit zwei anderen Tänzern entwickelt hat, noch Anne Jurens Choreografie „Code Series“ kommen gegen die massive Objekt-Performance von Wenninger an. Auch wenn alle sich sichtlich Mühe geben den anderen Platz zu lassen und sowohl räumlich als auch musikalisch die Kombination der vier eigenständigen Werke gut gelöst ist, scheitert das Experiment spätestens, wenn Milli Bitterli sich einklinkt und das körperliche Wechselspiel mit ihrer Videoprojektion (also noch eine Ebene mehr) „Was bleibt“ dazukommt. Es gibt zwar Momente, in denen auf einmal alles zusammenpasst und man kurz begeistert ist von dem Ineinandergreifen der unterschiedlichen Bewegungsräume, aber diese kleinen Lichtblicke reichen nicht aus, um aus dem bloßen Nebeneinander ein Miteinander mit dem Publikum zu kreieren. Jedenfalls für mich nicht.

Die anschließende Feier im Tanzstudio verlasse ich trotz Gratisbuffet und Sektbar relativ bald - für einen ersten Festivaltag ist es auch erst mal genug.
 

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