„Queen Blood“ von Ousmane Sy 

Powerfrauen in Sneakers

„Queen Blood“ von Ousmane Sy im Frankfurter Mousonturm

House-Kultur ist salonfähig geworden. Ihre Vermarktung geht damit aber eben auch einher. Wie das halt so ist mit dem Mainstream.

Frankfurt, 05/02/2024

Die kleine Schwester des Hip-Hop ist salonfähig geworden: Was als Untergrund-Tanzstil in den Szeneclubs von New York und Chicago begann, hat einen veritablen Siegeszug rund um die Welt angetreten. House-Grundschritte werden in Tanzschulen gelehrt und im Internet gezeigt, und längst hat House auch die Hochkultur-Barriere überwunden. Ein ganzes Wochenende lang standen die Zeichen im hippen Frankfurter Künstlerinnen*haus Mousonturm auf House. Workshops, Jam Sessions und Integration der lokalen House-Szene steuerten auf den Höhepunkt zu: das Gastspiel „Queen Blood“. Einmal mehr greift dafür die Tanzplattform Rhein-Main (eine Kooperation des Mousonturms mit dem Hessischen Staatsballetts) in die Kasse.

Powerfrauen und wummernde Bässe

Einer der Wegbereiter der House-Kultur war der in Paris geborene Ausnahmetänzer Ousman Sy (aka Babson), der den urbanen Freestyle mit choreografischem Geschick in bühnenreife Stücke ummünzte. „Queen Blood“ ist die letzte von vier Produktionen für seine Kompanie Paradox-Sal. Diese höchst diverse Truppe besteht ausschließlich aus Powerfrauen, die jeweils ihren eigenen individuellen Background im urbanen Tanz mitbringen. House, ein flüssiger Tanzstil mit schneller Fußarbeit und akzentuierten Oberkörperbewegungen, kann ganz viel integrieren: nicht nur das aktuelle Locking und Popping, sondern auch Salsa, Capoeira, bodennahe Hip-Hop-Akrobatik oder was das Internet an coolen Moves hergibt – alles im dominierenden Viervierteltakt mit wummernden Bässen.

Sieben Powerfrauen von Paradox-Sal sind mit „Queen Blood“ auf internationaler Hommage-Tour für den 2020 überraschend verstorbenen Künstler, der zuletzt Co-Direktor des Centre Choréograhique de Rennes et de Bretagne war. Diese Position darf als Beleg dafür gelten, wie lässig Ousmane Sy mit choreografischem Geschick die Barriere zwischen Underground-Kunst und etabliertem Theater überwunden hat.

Pulsierende Energie als Staffelstab

In dem Sechzig-Minuten-Stück wird nur ein Thema verhandelt, das aber gründlich: die Kraft des Tanzes, in diesem Fall aus weiblicher Perspektive. Es fängt mit lockerer Partystimmung bei Saallicht an – so lässig, dass es dem Publikum spürbar in den Beinen zuckt. Dann aber geht es los nach allen Regeln der Choreografie-Kunst, auf einem weißen, von bodennahen Schweinwerfern umstellten Tanzteppich, hinter dessen Rändern das Tanzen nicht aufhört. Hier wechseln überraschende solistische Darbietungen mit Gruppen und kraftvollem Unisono – immer so, als wäre die pulsierende Energie ein Staffelstab, der sich perfekt weiterreichen und bei Bedarf vervielfältigen lässt. Der Musikmix, bei dem die Bandbreite zwischen trancefähigem Techno und emotionsgeladener Songs ausgelotet wird, integriert als einen der Höhepunkte den rassismuskritischen Song „Four Women“. Die amerikanischen Jazz-Pianistin Nina Simone schlüpft darin in das Ich-Gefühl von vier Frauen mit unterschiedlicher Hautfarbe – eine Steilvorlage für den Tanz. Timing und Tempo des Stücks stellen unter Beweis, wie gut der Choreograf sein Handwerk versteht. Auch die Begeisterung des Publikums bestätigte den gar nicht bescheidenen Titel: in den Adern dieser Tänzerinnen könnte tatsächlich so etwas wie königinnen-liches Blut fließen.
  
Branding mit wenigen Gewinnern

Bei so viel Diversität in der Kompanie und tänzerischem Pochen auf weibliche Kraft und Unabhängigkeit irritierte ein bisschen, dass die Tänzerinnen zu ihren individuellen schwarzen Hosen und akzentuierten Tops allesamt die gleichen Sneaker trugen, Markenklassiker in Schwarz mit weißer Sohle und prominentem Logo. Ein kurzer Tanzausschnitt ließe sich problemlos zum Instagram-tauglichen Werbeclip umfunktionieren. Als wüssten wir nicht spätestens seit dem Erscheinen des Weltbestsellers „No Logo“ von Naomi Klein im Jahr 2000, wie wenige Gewinner, aber vielfältige Verlierer das allgegenwärtige Branding nach sich zieht ...

 

Kommentare


Vielen Dank für die Kritik. Um das Thema der 'Sneakers' besser zu verstehen, empfehle ich eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Hip-Hop-Kultur. Die Anmerkung zur Widersprüchlichkeit der Sneakers der Frauen erscheint meiner Meinung nach letztendlich als etwas oberflächlich und versehentlich klassistisch. Bei solchen Einordnungen paaren sich meiner Meinung nach Rassismus und Klassismus intersektional.

Die Bezeichnung von House-Tanz oder sogenannten 'urbanen' Tänzen auf der Bühne als 'Mainstream' verkennt zudem die Tatsache, was der Mainstream auf deutschen Bühnen wirklich ist - alles, nur nicht das. Das Heranziehen von Naomi Klein in diesem Kontext wirkt etwas aus der Zeit gefallen, besonders wenn man bedenkt, wie unauffällig die Schuhe waren.

Diese sind einfach bequem und stehen zudem nicht im Fokus.

Ich schätze die Kritik, möchte jedoch darauf hinweisen, dass eine tiefere Betrachtung der kulturellen Hintergründe und der aktuellen Bühnenrealität notwendig ist, um eine umfassende Perspektive zu erhalten.


Danke für den Diskussionsbeitrag - detaillierte Auseinandersetzung mit meinen Texten freut mich immer.
Ich möchte trotzdem noch einmal auf das Thema "Sneakers" eingehen.
Sie schreiben: "Diese (die Sneakers) sind einfach bequem und stehen zudem nicht im Fokus."
Als Tanzkritikerin lernt man, die Ausstattung als Teil der Inszenierung zu verstehen Wenn alle Tänzerinnen zwar individuelle schwarze Kostüme tragen, aber genau die gleichen Sneakers, zudem weiße Socken unter den nur knöchellangen schwarzen Hosen, dann ist das ein auffälliges Merkmal. Die tief angebrachten  Scheinwerfer rund um den Tanzteppich und die virtuose Fußarbeit der Tänzerinnen tun ein Übriges dazu, eben genau diese Sneakers mit prominent platziertem Markenlogo permanent ins rechte Licht zu rücken. Das ist ein nicht zu übersehendes optisches Statement, auch wenn der Fokus vielleicht nicht gewollt ist. 
 

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