„The Children of Today“ von Charles Washington / Pinkmetalpetal Productions, Tanz: Ioli Kaskani und Charles Washington

Being Jérôme Bel

Charles Washington / Pinkmetalpetal Productions mit „The Children of Today“ in Hellerau

Nijinsky verklickert Kleopatra die Kunst des Zeitreisens, um einen postkapitalistischen Blick zurückzuwerfen. Soll heißen: Intellektuelle Überfrachtung ist genüssliches Kratzen an den Rändern des Denkbaren. Aber holt Charles Washington das Publikum damit wirklich ab?

Dresden Hellerau, 04/02/2024

Wer Arbeiten des in Dresden lebenden Choreografen und Tänzers Charles Washington kennt, weiß, dass sich im Inneren seines Kopfes ein Universum aufspannt, in dem unzählige Ideen umherschwirren. Und alles muss raus, alles muss auf die Bühne. Allerdings nicht zwangsläufig in Form überbordender Settings. In seiner neuen Arbeit „The Children of Today“ ist das sogar ganz gegenteilig ausgefallen. Mit Blick auf eine möglichst nachhaltige Produktionsweise ist die Bühne äußerst reduziert. Ein zentraler Scheinwerfer in der Mitte über der Performancefläche, der auf und ab fahren kann, wirft einen sanften grünen Schimmer auf den Boden. Der Rest: Eine Taschenlampe und ein paar Spiegel, die durch entsprechende Positionierung im Raum den einzelnen Lichtstrahl in immer neue Richtungen lenken und eine Art Diskokugel. Das war’s schon. Am Rand hocken Kristin Feldmann und Alba Álvarez auf dem Boden vor einem genau so übersichtlichen Arsenal an Technik. Von dort aus steuern sie die gesamte Performance. Weitere Technik, weiteres Personal, darauf hat das Produktionsteam verzichtet. 

Introspektives Ritual

Gemeinsam mit der aus Zypern stammenden Performerin Ioli Kaskani bearbeitet Washington noch vor Beginn der Performance einen imaginären Garten. Zumindest lassen sich die mehr oder minder konkreten Gesten, mit denen das Publikum empfangen wird, als Umgraben und Umpflanzen lesen. Wenn dann die ersten rhythmischen Sounds einsetzen (ebenso aus dem Universum von Charles Washington stammend), beginnen beide, isoliert voneinander, eine Art introspektives Ritual. In die Musik mischen sich Versatzstücke menschlicher Stimmen, die eine semi-religiöse Atmosphäre schaffen. Trotz der Verschlossenheit ihrer Gesten finden sie zu einer gewissen Sinnlichkeit. 

„I am Cleopatra.“ 

Kaskani ist es schließlich, die den Ritus unterbricht, Washington ins Hier und Jetzt holt und fragt: „Do you remember me? I am Cleopatra.“ Ab diesem Moment hebt die Performance intellektuell ab und rast völlig ungehemmt durch Zeit und Raum. Und das im Wortsinn. Cleopatra hat irgendwann mal ausgerechnet von dem russischen Choreografen und Tänzer Vaslav Nijinsky beigebogen bekommen, wie man mühelos durch die Zeit reist. Das erklärt auch die auffällig steif gestalteten, flächig in den Raum ausgestellten Hände Washingtons und die einzelne hochgezogene Schulter. Die entsprechenden Fotografien Nijinskys in „L’Après-midi d’un faune“ flackern sofort in den Köpfen der Zuschauer auf. 

Als wäre das nicht schon komplex genug, stellt sich heraus, dass „damals“ noch ein Dritter mitgemischt hatte: Nämlich der französische Tänzer und Choreograf Jérôme Bel. Der verkompliziert alles noch um eine ganze Ebene weiter. Schicht um Schicht packt diese Arbeit intellektuelle Spielereien übereinander.

Faszination Jérôme Bel

Charles Washington greift zum Mikrofon und erläutert, was ihn so an Bel fasziniert. Er spricht von dessen Arbeit „The Last Performance“ aus dem Jahr 1998 und von „Isadora Duncan“, die Bel 2022 in Hellerau gezeigt hatte. Und Washington erklärt auch, warum er selbst Jérôme Bel ist. Oder gern sein will. So ganz klar wird das nicht. Dem Publikum klingeln an dieser Stelle angesichts der Textmenge schon die Ohren. Die textlichen Inhalte selbst machen das erst recht nicht zu einem Spaziergang. Darf’s trotzdem noch ein bisschen mehr sein? Bitteschön: Kaskani spricht ins Mikrofon, zu hören allerdings ist Washingtons Stimme. Herzlich Willkommen im Kopf von Charles Washington! Den Ausgang muss jeder selbst finden.

Washington stirbt schließlich, und Jérôme Bel ist derjenige, der ihn begraben darf. Dieser Tod als Bruch ist als bemerkenswerte dramaturgische Leerstelle gebastelt: Alles in der Performance kommt zum Stillstand. Black. Alles stoppt. Und das Publikum muss es sekundenlang aushalten. Und tut es auch. Dramaturgisch ist das äußerst mutig. Das kann schnell nach hinten los gehen und als Ende der Vorstellung missverstanden werden. Das passiert an dieser Stelle zwar nicht, später dann aber leider doch.

Postkapitalistisches Ideal

Nach dem Tod scheint alles anders. Kaskani performt mit der Taschenlampe, deren Lichtstrahl sie mühelos mit verblüffenden Effekten in die jetzt offenbar gebrochenen Bewegungen einbaut. Schließlich greifen dann beide doch wieder ihr Ritual auf und finden jetzt darin zusammen, synchronisieren sich in ihren Gesten. Sie arbeiten gemeinsam an einer Aufgabe, die nur sie kennen. Das ist selbstreferenziell und lässt das Publikum außen vor.

Zwischen Reflexionen über eine postkapitalistische Idealwelt und einer uferlosen Reflexion über „something“ und „nothing“, einer Fragestellung, die der nach dem Huhn und dem Ei ähnelt, setzen sie sich irgendwann ins Publikum und verschwinden damit zwischen den Zuschauer*innen. In diesem Moment wird klar, wer die „Children of Today“ sind: alle im Raum. Diese kontextuelle Verschmelzung oder Auflösung liest sich wie das Ende aller Dinge. 

Entsprechend applaudiert das Publikum. Als dann aber deutlich wird, dass noch mehr Text folgt, geht dieser im Applaus unter. Die beiden Performer*innen kehren auf die Bühne zurück, scheinen jetzt aber keine Message mehr zu haben. Rhythmisches Hüpfen und Klatschen steckt schließlich das Publikum an, von denen sich nach und nach immer mehr auf der Bühne den Zeitreisenden anschließen. Diese Party ohne Musik ist ein merkwürdiger Anblick. Man kann das Theater eben auch mal ziemlich verwirrt verlassen.

 

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