„proskenion Nachwuchsförderpreis für Darstellende Künste 2023“ für die Palucca Hochschule für Tanz Dresden, Mitte: Jason Beechey

Fragmentierungen

Das Palucca Tanz Studio in Dresden mit Arbeiten der Master-Studierenden Choreografie. Und einem beliebten Schmankerl von Naharin

Licht spielt dieses Mal in allen Arbeiten eine wichtige Rolle. Vorher gab es aber noch einen Preis für die Palucca Hochschule. Und am Ende: volle Verausgabung mit „Echad Mi Yodea“ in Ohad Naharins „Stuhlkreis“.

Dresden, 25/11/2023

Schon allein aufgrund der Tatsache, dass die Arbeiten der jeweiligen Studierenden des Masterstudiengangs Choreografie unkuratiert sind, lohnt sich immer ein Blick auf diesen Abend. So ganz ohne „kleine“ Aufgabe ging es aber dann doch nicht: Da Beleuchtung ein Modul des Studiengangs ist, kam es darauf an, auch in diesem Bereich zu zeigen, was sie gelernt haben. Neben, der eigentlichen Choreografie, wohl bemerkt. Enttäuscht hat dabei niemand, so viel steht fest. 

Halb installativ steigt der Abend ein, mit einer riesigen weißen Plane, die wie ein Hügel die Tanzfläche einnimmt. Darunter Bewegungen, dahinter, halb verborgen, eine Tänzerin. Und im Hintergrund eine fast zu übersehende Gestalt in weißer Kapuze. Lange, ziemlich lange tut sich nichts, bis schließlich Rektor Jason Beechey gemeinsam mit Dr. Lars Göhmann von der proskenion Stiftung die Szene übernehmen. Stimmt, da war ja noch was. Es ist die Verleihung des „proskenion Nachwuchsförderpreis für Darstellende Künste 2023“. Der hat seinen Weg in der Vergangenheit schon mehrmals in das Haus gefunden, jetzt aber erstmals als Institutionspreis für die gesamte Einrichtung. Eine Würdigung, angesichts derer sich Beechey durchaus in seinem letzten Amtsjahr noch mal selbst auf die Schulter klopfen darf. Im Sommer wechselt er dann nach Zürich an die dortige Hochschule der Künste. Wer dann das Ruder übernehmen wird, ist noch offen.

Da diese Würdigung aber eben allen im Haus gilt, hat die knappe Laudation Göhmanns erfreulicherweise nicht von dem abgehalten, weswegen alle eigentlich gekommen waren.

Technoid, isoliert

Die Plane entpuppt sich als bloßer Einstieg und verschwindet schnell, um den Raum ganz freizugeben für Dan Datcus schnittiges „Unwire rewire / Path in the Snow“, mit dem der die Messlatte gleich mal ordentlich hoch hängt. Unter Einsatz technoider, isolierter Sounds von Ryoji Ikeda packt er seine vier Tänzer*innen in eine unterkühlte Atmosphäre, bei der man unwillkürlich schon wieder an KI denken muss. Man kommt einfach nicht mehr drum herum. Sein zeitgenössischer Bewegungsansatz, den man durchaus als emotionslos bezeichnen kann, bleibt aber nicht etwa ohne eigenen Ausdruck. Dass sich das als Absenz des Menschlichen lesen lässt, zeigt sich in dem Moment, in dem die Musik unvermittelt zu Pergolesis harmonischen Streicher-Klängen wechselt. Die bis dato fragmentierte Sprache der Körper beginnt zu fließen und deutet fast Einklang an, kippt dann aber doch wieder zurück zu den kalten Klängen des Anfangs. Dieser Ansatz eines Bruchs oder vermittelter Brüchigkeit lässt sich auch in den anderen Arbeiten lesen.

Da schickt Liu ShiYu in „Five Portraits“ vier Tänzer*innen ausgestattet mit jeweils einer Taschenlampe in die komplette Dunkelheit. Kaum, dass man erkennen kann, dass alle vier helle Sturmhauben tragen. Das spärliche, farbige Licht der Taschenlampen wirft im Wortsinn Schlaglichter auf die Bewegungen, die zwangsläufig als Fragmente wahrgenommen werden müssen. Auch, wenn schließlich mehr Licht mehr Information vermittelt, bleibt die Sache schwer lesbar. Aus dem Off kommen Kommentare, die sich nach kurzer Zeit sprachspielerisch gegenseitig überlagern. Verschlossen, fast wie mit Ritualcharakter ausgestattet, bleiben diese fünf Portraits ganz bei sich.

Alles bleibt verrätselt 

Noch einen Schritt weiter, so möchte man sagen, geht Jack Bannerman. Mit „Where there’s Smoke, there’s People“ lässt er vier Tänzer*innen Bilder gestalten, die stark gestisch daherkommen und sich nah an die Grenze zum Tanztheater wagen. Und alles irritiert, weil trotzdem in keinem Moment irgendetwas konkret wird. Schiffssirenen und Möwengeschrei verorten zwar alles am Meer, das war’s aber auch schon. Mehr wird nicht greifbar. Die Kostüme sind auf links gedreht; unförmige, dünne Matten wollen Requisiten ohne klare Funktion sein. Als wolle alles mit Symbolträchtigkeit aufgeladen werden, aber bis zum entscheidenden Moment kommt es nicht. Die Fragmente bleiben auch hier verrätselt. 

Mit viel Text fragmentiert auch Noé Valdes Vega seine Arbeit. „Another Place“ ist eine Reflexion über die Möglichkeiten der Kommunikation über Entfernungen hinweg, im direkten wie im übertragenen Sinn. Für Übertragungsprozesse werden Botschaften in Sinneinheiten zerlegt und, mit etwas Glück, am Ende wieder „korrekt“ zusammengepuzzelt. Transport- und Transformationsprozesse, Übertragungen und Übersetzungen: Das alles findet vor allem sprachlich statt. Bewegung ist hier sekundär, wenn auch nicht unbedeutend. Am Ende findet sich Elias Stefanescu nicht „Draußen vor der Tür“ wieder, aber doch draußen vor dem Fenster. Ein bisschen Spaß mit Konfetti-Kanonen, und weg ist er auch schon wieder. Niemand hat behauptet, Kommunikation wäre eine einfache Sache.

Überzeugende Ausdrucksfähigkeit

Durchaus einfach scheinen aber durchweg die Herausforderungen aller Tänzer*innen (1. Studienjahr Bachelor Tanz) gewesen zu sein. Es fällt an diesem Abend ins Auge, dass alle Beteiligten eine starke Bühnenpräsenz und Sicherheit im Ausdruck mitbringen. Damit zeigen sie sich den durchweg zeitgemäßen Bewegungsansätzen als auch den Konzepten gewachsen, die in ihren individuellen Ansätzen keine Wünsche offen lassen.

Da ist es am Ende eigentlich nur noch die Kür, mit der die Studierenden des 2. und 3. Jahres Bachelor Tanz ganz der Idee Ohad Naharins folgend unter dem Gestampfe von Marushas „Somewhere over the Rainbow“ ein paar Zuschauer*innen auf die Bühne holen. Sie mit einem Chacha zu umgarnen und nach gemeinsamem Hüftschwingen wieder zu entlassen, ist der Aperitiv für den Epilog des Abends, wenn im berüchtigten Stuhlhalbkreis mit „Echad Mi Yodea“ im Wortsinn die Fetzen fliegen. 

 

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