„Nothing but Illusion“ von Yuexuan Gui, Tanz: Ido Stirin, Eleonora Pennacchini, Charles Ant

Vielfach beleuchtet

Der dreiteilige Abend am Theater Pforzheim zeigt Arbeiten von Damian Gmür, Henry Daniel und Yeuxuan Gui

Kreative Erleuchtungen ins Rampenlicht gestellt: der Auftakt einer Reihe von Tanz-Uraufführungen im Podium

Pforzheim, 29/01/2023

Die Meinungen sind vorgefertigt: Licht ist gut, Schatten ist schlecht beziehungsweise böse. Nicht nur diese zementierten Vorurteile werden bei der Premiere des dreiteiligen Tanzabends „Licht“ im Tanz Theater Pforzheim aufgelöst, die Grenzen zum Verschwimmen gebracht, die Perspektiven durcheinander geschüttelt. Als Durchschüttler, Licht- und Schatten-Meister betätigen sich drei Choreografen – allen voran der stellvertretende Pforzheimer Ballettchef Damian Gmür, gefolgt vom für seine Forschungsarbeiten ausgezeichneten Tanz-Professor Henry Daniel und der chinesischen Tänzerin, Choreografin und Fotografin Yuexuan Gui.

Da passt es auch gut, dass die Premiere in der „Black Box“ des Podiums stattfindet. Ein Dunkel, das kuschlig, aber auch unheimlich wirken kann. Die Gäste mit Karten für den Saal finden sich zunächst mit blauen Schuhüberziehern als eine Art Komparsen auf der Tanzfläche wieder. Von sich zu langsamer elektronischer Musik wiegenden, verrenkenden weißen Gestalten umgeben, die einen roboterhaften, starren Blick haben. Der Funke springt über, hier und da sind Tanzbewegungen im Publikum auszumachen.

Mit einem Mal ist es dunkel. Man spürt die anderen mehr als man sie sieht. Schwarze Gaze-Vorhänge umfangen auf einmal die Menge. Dahinter tauchen verschwommen Bewegungen auf, Wahrnehmbares wird verschleiert, unwirklich fast schon. Dann: Der Vorhang geht auf, das Publikum setzt sich, und der erste Teil des Abends von Damian Gmür unter dem Titel „Io“ setzt sich  fort, auf den Lichtwellen dem mystischen Phänomen folgend. Gmür lässt seine strahlend weiß gekleidete Tanztruppe die Eigenschaften von Licht herausschälen: Wir sehen, was wir sehen möchten. Licht, das Ursache und Wirkung erkennen lässt?

Mit poetischer Kraft wird der Zuschauer dazu gebracht, Ausschau zu halten, seinen Augen zu trauen oder sich dem Wagnis hinzugeben, dies eben nicht zu tun und so die Perspektive zu wechseln. Die Balance zwischen Licht und Schatten gerät zum Tauziehen, Körper ziehen sich gegenseitig ins Dunkel, winden sich ins Licht zurück, frieren ein und sind in starrer, wartender Position. Der Kopf drückt gegen die schwarze Wand. Und auf einmal ist alles in Licht gebadet, erklingen statt dystopischer, eher düsterer Klänge liebliche, kindliche Melodien. Die Tänzer*innen verabschieden sich rückwärts durch eine Tür gehend, von stakkato-artig ein- und ausgeblendetem, scharfem Licht begleitet. Es ist und bleibt ein Rätsel, warum Licht immer mit der gleichen Geschwindigkeit von 300.000 Kilometern pro Sekunde unterwegs ist.

Henry Daniel geht in „Presence“ der Frage der Resonanz, der Vorstellung von unsichtbarem und sichtbarem Licht nach, seine elektromagnetische Strahlung trifft auf den Resonanzkörper einer scheinbar in einem düsteren Gletscher eingefrorenen Frau. Ihre ebenfalls schwarz schimmernden Avatare stellen ihr Bemühen dar, durch die Zeitkapsel zu ihrem wahren Wesens-Ursprung zu stoßen. Der Körper und sein Gedächtnis – umrundet von soldatenhaft marschierenden Wesen – boxt sich durch ans Licht. Wo bin ich? Wie komme ich hierher? Papa?! Schwitzend wälzen sich Körper am Boden, dringen kraftvoll wieder nach oben ans Licht.

Diese faszinierende Mischung aus klassischem Ballett, Hip Hop, Akrobatik und vielem mehr ist nicht nur Bewegung zu Musik: Damian Gmür bedient sich der Sprache, lauten Rufen der Tänzer*innen, bei „Nothing but Illusion“ der chinesischen Choreografin Yuexuan Gui ist sie ein wesentliches Element. Und ein amüsantes noch dazu. Heftige Debatten über das Wie und Was und Miteinander, das verzweifelte Ringen um Entscheidungen – „Irgendjemand macht sich da oben lustig über mich“, „Rede mit ihr“, „du denkst zu viel“ – werden von heftigen, abwehrenden, flehenden, sich hingebenden Bewegungen begleitet. Ineinander verschlungen, sich in den aberwitzigsten Konstellationen wiederfindende Körper spielen mit Licht und Schatten. Keines existiert ohne den anderen, das Ringen um die richtige Entscheidung: Sie verbindet die Menschen, ist ein nie endendes Tauchen von der hellen in die dunkle Seite. Und umgekehrt.

Mit dem Wort Licht kann man viel verbinden. Was den dreiteiligen Tanzabend „Licht“ mit Choreografien von Henry Daniel, Damian Gmür und Yeuxuan Gui betrifft, kann allerdings ganz und gar nicht die Rede davon sein, dass hier jemand sein Licht unter den Scheffel stellt. Das Gegenteil ist der Fall: Da haben sich drei Choreografen zusammen mit engagierten Tänzer*innen ins rechte Licht gerückt. Vielmehr: Ihre kreativen Erleuchtungen ins Rampenlicht gestellt. Dem Tanz Zugetane können sich freuen: Das ist erst der Auftakt einer Reihe von Tanz-Uraufführungen im Podium – über mehrere Spielzeiten geplant. Clever, befruchtend, frisches Blut hineinpumpend: Das Pforzheimer Ensemble lässt sich dabei auch immer wieder von Gast-Choreografen zum Licht führen beziehungsweise dorthin begleiten. Für die Zuschauer mehrt es das Vergnügen um ein Vielfaches, von allen Seiten beleuchtet, Perspektivenwechsel ermöglichend.

 

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