„Bone Smoke“ von Melanie Lane in Heidelberg

„Bone Smoke“ von Melanie Lane in Heidelberg: Inés Belda Nácher, Thamiris Carvalho, Marc Galvez, Adrien Ursulet, Yi-Wei Lo, Lucía Nieto Vera, Jochem Eerdekens

Alles neu – macht der Vulkan

Zur neuen Heidelberger Tanzpremiere „Bone Smoke“ von Melanie Lane im Zwinger

Apokalypse als Tanzanlass mit dem Dance Theatre Heidelberg. Melanie Lanes liefert dabei einen Parforceritt durch die Tanzstile.

Heidelberg, 09/10/2023

Wenn vom Theater eine Altersangabe gemacht wird, so ist nicht immer offensichtlich, ob es sich um eine Empfehlung zum Schutz oder zur Anwerbung einer speziellen Altersgruppe handelt. Bei der neuen Tanzpremiere im Heidelberger Zwinger mit dem leicht reißerischen Titel „Bone Smoke“ hätte die Empfehlung „ab 16“ auch als Warnung vor grausamen Inhalten gelesen werden – schließlich bezieht sich das Stück auf den Ausbruch des Vulkans Tambora im Jahr 1915, der Hunderttausenden das Leben kostete und der gesamten Nordhalbkugel eine Klimakatastrophe bescherte: ein Jahr ohne Sommer, ohne Sonne, ohne Ernte. Die globalgeschichtlichen Folgen dieses Ereignisses bis hin zu großen Migrationsbewegungen, aber auch erstaunlichen Beweisen menschlicher Resilienz sind gerade heute wieder im Fokus, wo eine Klimakatastrophe der anderen Art droht.

Die javanesisch-australische Choreografin Melanie Lane, verantwortlich für die erste Tanzpremiere der Spielzeit, hat sich die Frage gestellt, wie eine solche Apokalypse die Menschen, ihre Bewegungen und damit auch den Tanz verändern kann. Dafür hat sie zwar neun der zehn festen Mitglieder des Ensembles von Iván Pérez zur Verfügung, aber die begrenzten Raumkapazitäten der Studiobühne im Zwinger - ein ungewöhnlicher Auftakt der Tanzsaison. Die ist in dieser Spielzeit sowieso knapp kalkuliert mit nur einer Premiere von Tanzchef Iván Pérez, einer Wiederaufnahme und einer weiteren Beteiligung an einem spartenübergreifenden Projekt.

Wenn Melanie Lanes Stück einsetzt, ist die Katastrophe schon passiert: in einem Türausschnitt im Hintergrund lodert ein symbolisches Feuer, auf der Bühne sind Lavabrocken und Asche verteilt. Zum Soundtrack (einer elektronischen Auftragskomposition von Yamila Rios) erkunden die neun Tänzerinnen und Tänzer, im funktionellen stylischen Outdoorlook gerüstet, die verbliebene Welt. Die Choreografin versucht in ihrer Arbeit, die fiktive Frage zu beantworten, wie aus einem solchen kollektiven Trauma ein neues Verhältnis zueinander und zur Umwelt entstehen kann – getanzt, versteht sich.

So wird das Publikum Zeuge der allmählichen Verwandlung verstreuter Einzelner und kleiner Grüppchen zu einer Truppe, die sich – nun in graublauen Unisex-Bodies mit transparenten Einsätzen - zu einpeitschenden Rhythmen in eine gemeinschaftliche Ekstase tanzt. Auf dem Weg der Bewegungsfindung kommt Melanie Lane an allerhand Wiedererkennbarem vorbei: Streetdance Moves, Yoga oder Tierbewegungen inbegriffen. Es ist bekanntlich eine der Königsdisziplinen im zeitgenössischen Tanz, ganz neue Bewegungen zu erfinden und daraus gar eine eigene Sprache zu machen. Im entscheidenden Augenblick verlässt sich Melanie Lane dann auch nicht auf Bewegung pur, sondern bringt ein bisschen Tanztheater in Spiel. Beim symbolischen Trank aus einem rot lodernden Weihegefäß zur Markierung des Neuanfangs herrscht allerdings auch leiser Kitschverdacht.

Die Bewegungsreise der Heidelberger Tänzer*innen bleibt eine sympathische, beeindruckende und bei der Premiere mit reichlich Beifall gefeierte athletische Tour de Force – bei der sich Sechzehnjährige vermutlich eher ein paar coole Moves abgreifen könnten, als kritisch über die Post-Apokalypse nachzudenken.

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