Michael Molnár und Krisztina Horváth, Köln

Michael Molnár und Krisztina Horváth, Köln

„Du kannst die Kreativität nicht stoppen“

Eine Würdigung zum 75. Geburtstag der Choreografin Krisztina Horváth von Renate Killmann

Auf der Suche nach dem „Grünen Tisch“, dem epochemachenden Werk von Kurt Jooss, emigrieren die ungarische Tänzerin Krisztina Horváth und ihr Ehemann Michael Molnár 1970 in die BRD. Nach schnellem Anschluss an die Ballettwelt der 1970er-Jahre fanden sie den Weg zum Tanzforum Köln - und: zum „Grünen Tisch“.

Eutin, 04/10/2022

Renate Killmann: Liebe Krisztina, Du bist gerade 75 Jahre alt geworden und immer noch als Choreografin aktiv. Als Tänzerin warst Du an verschiedenen Theatern in Ungarn und in Deutschland tätig, hast dann die Sparte Tanz an den Theatern in Osnabrück, Freiburg und Kassel geleitet und im Jahr 1996 das freie TanzTheaterEutin gegründet. Was treibt Dich an, immer weiter Tanz zu kreieren?

Krisztina Horváth: Erst einmal: nach Kassel wollte ich gar nichts mehr machen. Aber du kannst die Kreativität nicht stoppen! Irgendwann, als ich schöne Menschen um mich hatte und schöne Musik hörte, ist mir wieder etwas eingefallen. Zunächst hatte ich in Eutin eine Kinderballettschule, habe dann mit den jungen Müttern weitergearbeitet, sie mit dem Tanztheater vertraut gemacht. Auch kamen einige ehemalige Tänzer*innen als Gäste dazu, das geht bis heute. Wir machen gerne weiter.

Ein Leben ohne Tanz ist nicht vorstellbar?

Nein! Für uns nicht, denn wir haben angefangen mit vier.

Schauen wir auf einige Stationen Deiner Laufbahn: Du warst im Ballettinternat in Budapest, wo Du auch Deinen Mann Michael Molnár kennen gelernt hast. Zusammen wart Ihr im Erstengagement in der für damalige Verhältnisse modernen Ballettkompanie von Imre Eck in Pécs. 1970 seid Ihr dann während eines Gastspiels mit dieser Kompanie in den Westen geflüchtet - warum?

Das ist ganz einfach: das Ballett Pécs war zwar eine anerkannte Gruppe - wir haben viele Gastspiele gemacht in Leningrad, in Moskau und u.a. auch in Paris - aber die Tanztechnik war nicht modern, nicht zeitgemäß. Es war etwas zwischen Béjart und Klassik. Dann haben wir bei einem Gastspiel in Ljubljana Choreografien von Glen Tetley und Hans van Manen gesehen und haben erkannt, was es alles noch gibt. Auch waren wir auf der Suche nach dem „Grünen Tisch“ von Kurt Jooss, von dem unsere Lehrerin in der Ausbildung immer gesprochen hat. Bei einem weiteren Gastspiel in Passau sind wir dann im Westen geblieben – nur mit einem Koffer in der Hand. Ein Freund half uns weiter. Und nach Engagements in Augsburg und Düsseldorf kamen wir dann zum Tanzforum Köln: dorthin, wo „Der Grüne Tisch“ getanzt wurde. So tanzten wir selbst in dem Ballett: Michael war der Fahnenträger, ich die Mutter. Wir haben es ca. 60mal getanzt, denn bei jedem Gastspiel des Tanzforums wurde das Stück aufgeführt.

Wie waren Eure Erfahrungen im Westen, zunächst in Düsseldorf und dann sieben Jahre lang beim Tanzforum Köln?

In Düsseldorf hatten wir eine schöne, sorglose Zeit bei Erich Walter. Es war wieder sehr klassisch, aber auf neuere Art: wir haben viele Choreografien von Hans van Manen getanzt, z.B. „Die Große Fuge“ - Michael war einer der Solotänzer.
Bald kam ein ungarischer Freund, Imre Zoltán zu uns und sagte: „Kommt rüber zu uns nach Köln, ich zeige Euch das Tanzforum“. So kamen wir nach Köln.

Wie war dann die Zusammenarbeit mit Kurt Jooss?

Er hat ja die Einstudierung nicht gemacht, sondern Anna Markard. Aber er kam einmal nach Köln zu einer Ballett Matinee, die Jochen Ulrich damals öfters veranstaltet hat, um Stücke vorzustellen. Es gibt ein Foto von uns beiden an dem Tag, wo er die Rolle vom Tod andeutet und ich die Mutter tanze. Er war damals schon sehr alt. So sagte er zu mir: „Komm machen wir...“ – aber er wusste selber nicht mehr richtig, wie es ging! Ich wusste es aber, denn ich hatte die Rolle schon so oft getanzt. Anna Markard war sehr genau und streng! Sie hat die Choreografie gut einstudiert.

Wie war es mit der modernen Tanztechnik?

Michael hat die Modern Technik (vor allem Graham) sehr schnell gelernt, schneller als ich. Ich habe mich mehr dafür interessiert, was die Gastchoreograf*innen gemacht haben, war total fasziniert von der neuen und anderen Arbeitsweise. Es kamen Christopher Bruce, Norman Morris, Glen Tetley und viele andere, das war ein tolles Programm! Michael hat sich mehr auf das Tanzen konzentriert, übernahm viele Solorollen. Auf Tournee hat er oft mit Anna Price, unserer Modern-Trainerin auf dem Flughafen geübt, um die langen Wartezeiten zu überbrücken.
Dann habe ich in Köln mit den Kollegen für den Choreografischen Wettbewerb ein erstes Stück choreografiert: „Was steckt im Sack?“ - später dann mit dem Stück „Charlies Traum“ habe ich eine so tolle Kritik von Jochen Schmidt in der FAZ bekommen, dass die Theater-Intendanten auf mich aufmerksam wurden.

Wie waren Deine Erfahrungen als Tanztheater-Chefin in Osnabrück und dann für sieben Jahre in Freiburg, wo Du Dein Tanztheater erfolgreich etabliert hast?

Zunächst hat mich Dr. August in Osnabrück engagiert, wo ich mit Dorfszenen und einem Schostakowitsch-Programm große Projekte realisieren konnte. Dort kam schon Ulrich Brecht aus Essen zu mir und holte mich nach der zweiten Spielzeit nach Freiburg.

Krisztina Horváth und Michael Molnár in Osnabrück

Krisztina Horváth und Michael Molnár in Osnabrück

Was waren Deine größten künstlerischen Erfolge, wichtigsten Projekte in Freiburg und danach in Kassel? Was waren die großen Themen Deiner Arbeit?

In Freiburg habe ich auf Wunsch des Intendanten mit einem berühmten Stück, mit „Romeo und Julia“ eröffnet. Das war Ulrich Brecht wichtig, dass die Leute kommen, um zu schauen. „Aber Du kannst es auf Deine Art machen“, sagte er zu mir. Das tat ich dann auch: mit einem völlig neuen Musik-Konzept, mit Alter Musik, Renaissance-Musik und ich habe mit Stoff gearbeitet.

Wofür stand der Stoff?

Ich hatte schon in Osnabrück angefangen, mit Stoff zu experimentieren, „Bewegte Skizzen“ hieß der Abend auf der kleinen Bühne, im Emma Theater. Jetzt fand ich, dass die beiden Frauen der rivalisierenden Familien Capulet und Montague sehr schön wirken könnten mit diesem edlen Stoff. Der Stoff steht für ihren Reichtum, ihren Status und auch für die Renaissance-Zeit ganz allgemein.
Meine wichtigsten Produktionen in der Freiburger Zeit waren außerdem: „Gott und Nijinsky“, „Auf Leonardos Spuren“, „Erinnerung und Vergänglichkeit“. Dann die Porträts: Charlie Chaplin und Buster Keaton zum Beispiel. In Kassel war sicherlich die Deutsche Erstaufführung von Mauricio Kagels „Tantz-Schul“ von Bedeutung. Dort habe ich drei Lorca-Abende gemacht: „Bernarda Albas Haus“, „Yerma“ und „Bluthochzeit“.

Das sind alles sehr schwere Themen.

Ja, das stimmt. Krieg, Tod und Vergänglichkeit, sowie Totentänze waren immer wiederkehrende Themen.

Gibt es einen Grund dafür?

Ich habe viel darüber nachgedacht. Ich glaube, es hat damit zu tun, dass ich als Neunjährige während des ungarischen Aufstandes in 1956 drei Monate im Keller verbracht habe und draußen wurde geschossen. Diese Situation, diese Angst vergisst man nicht. Budapest lag - auch noch vom 2. Weltkrieg - in Schutt und Asche. Und weißt Du, was ich gemacht habe? Ich habe mit den anderen Kindern Theater gespielt, unten im Keller...
Es gab aber auch leichtere, unterhaltsame Programme: z.B. „English Lesson“, „Charlies Traum“ oder „Waltz-Nocturnes".

Jetzt in Eutin: wie ist der Unterschied, mit einem freien Tanztheater zu arbeiten?

In Eutin dachte ich zunächst, dass ich gar nichts mehr mache. Jetzt, wenn ich mir die Stücke anschaue, die wir inzwischen hier realisiert haben, dann ist das schon ganz enorm! Angefangen haben wir mit „Bilder einer Ausstellung“, dann ging es weiter mit „Carmen“, einem Wigman-Stück, „Zauberflöte“, „Nachtschwärmer“ (nach Bildern von Edward Hopper), einem Stück über Valeska Gert, „Dido“, „Anne Frank“ und vieles mehr.
Alles wird natürlich sparsam gemacht, wir suchen Orte, wo wir kein Bühnenbild brauchen. Mehrere Stücke sind in Kooperation mit dem GEDOK-Atelierhaus in Lübeck entstanden und dann haben wir auch an anderen schönen, historischen Orten in Lübeck gespielt. Es ist alles in kleinerem Rahmen, aber es sind doch von mir professionell gestaltete Projekte.

Wo ist das Tanztheater in Deutschland geblieben?

Ich weiß es nicht, wo es geblieben ist. Ich stamme nicht aus dieser Sorte Tanz, die heute praktiziert wird. Ich mache meine eigene Art Tanz, entwickele meinen Stil immer weiter - auch zusammen mit meinen Tänzer*innen, Darsteller*innen. Zurzeit gehe ich mehr Richtung Schauspiel. Zum Beispiel mit Angelika Neumann, die vom Schauspiel kommt, entstehen sehr interessante, mehr szenische Sachen, wie z.B. bei „Valeska“ oder bei „Elisabeth I.“.

Du erarbeitest mit ihr Soloprojekte?

Ja, wir machen die Projekte zusammen: sie bringt das Szenische ein und den Text, ich die Musik und die Bewegungen. Das nächste Projekt geht über fünf Frauenfiguren, es ist inspiriert von Christiane Brückners Buch „Wenn du geredet hättest, Desdemona“. Es ist schon fast fertig, jetzt müssen wir nur noch Geld bekommen, um es zu realisieren.

Seit wann hast Du Kontakt mit dem MOHA-Tanztheater in Budapest? Ihr ladet Euch gegenseitig zu Gastspielen ein, steht im künstlerischen Austausch.

Ich kenne sie seit ca. sieben Jahren, habe sie auf einer meiner späteren Reisen nach Budapest, bei der ich mich in der Freien Szene umgeschaut habe, gefunden.
Der heutige künstlerische Leiter István Pálosi hat es zusammen mit Mark Fenyves gegründet. Sie haben ein Studio mit Studiobühne und eine große Tanzbuch-Bibliothek, in der sie die Erinnerung an den ungarischen Ausdruckstanz, der dort auch lange Zeit verboten war, aufrechterhalten. Sie machen Rekonstruktionen von historischen Choreografien, aber auch Aktuelles. Wir laden uns gegenseitig zu Gastspielen ein, wie auch jetzt mit dem Pavlova-Stück von Ildikó Mándy. Für Ildikó habe ich auch schon in Ungarn choreografiert und außerdem hatte ich im MOHA eine Fotoausstellung über meine Arbeit im Westen.

Vor zwei Jahren ist Dein Ehemann Michael Molnár, mit dem Du alles zusammen gemacht hast, gestorben...

Das ist etwas, das kam wie aus heiterem Himmel... Das kann man nicht verstehen, habe ich bis heute nicht. Aber ich bin sicher: das, was ich jetzt mache, das hätte er gewollt. Es ist absolut in seinem Sinne, dass ich weiter mache. Das ist nicht leicht, aber das Schicksal hat mir jemanden aus meiner Kölner Zeit an die Seite gegeben, der zu mir steht.

So hat Dir das Leben auch immer wieder ein bisschen Glück geschenkt?

Absolut.

Was bedeutet Glück für Dich?

Gute Menschen um Dich herum, das ist Glück. Dass wir gesund sind - auch, dass wir uns wieder begegnen können.

Das Leben spielt einem etwas zu, man muss es nur sehen.

Ja, genau!

Krisztina, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute!
 

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