"4x4: Winter" (Micaela Serrano Romano, Saúl Vega Mendoza) 

Win-win-win-win-Situation

Für den Tanzabend „4x4“ in Heidelberg zeichnen gleich vier Tanzdirektoren verantwortlich

Jeder der Vier zeichnet verantwortlich für eine der Jahreszeiten, jeder arbeitet mit einer fremden Kompanie, und in jedem beteiligten Theater wird der Tanzabend gezeigt.

Saarbrücken, Heidelberg, Trier, Bielefeld, 27/03/2022

Er hat es in sich, der Frühling: in Natura, als Metapher, in Töne gegossen von Antonio Vivaldi und auf die Tanzbühne gebracht von Simone Sandroni. Der künstlerische Leiter von TANZ Bielefeld lässt seine Choreografie zur ersten der „Vier Jahreszeiten“ spielerisch leicht beginnen: mit Vogelgezwitscher, während Protagonisten in bunten Flatteroberteilen die Bühne erobern. Vivaldi wird angespielt und bricht wieder ab; Komponist Milian Vogel hat Schnipsel des zum Ohrwurm degenerierten Klassikers neu arrangiert und liefert spannende Brüche für das Bühnengeschehen. Sandroni fächert dazu ein Bewegungsfeuerwerk tänzerischer Stile auf, perfekt individuell zugeschnitten auf die drei Tänzerinnen und zwei Tänzer des Theaters Trier, mit denen er für diese Kreation zusammengearbeitet hat. Dieser Frühling hat viele Gesichter: sanft und roh, erotisch und komisch, hoffnungsvoll und explosiv - aber auf gar keinen Fall klischeegerecht.

Dieses Stück ist der Auftakt einer ungewöhnlichen Produktion, im Heidelberger Spielplan mit nur zwei Aufführungen zu Unrecht ein bisschen versteckt. Denn für den Abend „4 x 4“ haben vier Leiter von Tanzkompanien an vier sehr verschiedenen Theatern ausprobiert, ob und wie selbst organisierte künstlerische Zusammenarbeit neu gedacht und umgesetzt werden kann. Der Anstoß kam von Simone Sandroni, mitgemacht haben Iván Pérez (Heidelberg), Stijn Celis (Saarländisches Staatsballett) und Roberto Scafati (Theater Trier). Choreografieren und ein Ensemble leiten kann offenbar ein sehr einsames Geschäft sein; was als Befreiungsschlag aus den lähmenden Corona-Einschränkungen gedacht war, entwickelte schnell eine zwingende Eigendynamik. Es war allen vier teilnehmenden Choreografen im Gespräch deutlich anzumerken, wie gern sie die Chance eines Ausbruchs aus dem Alltagsgeschäft genutzt und das Teilen von organisatorischer, finanzieller und künstlerischer Verantwortung als Win-win-win-win-Situation erlebt haben.

Jeder der Vier zeichnet verantwortlich für eine der Jahreszeiten, jeder arbeitet mit einer fremden Kompanie, und in jedem beteiligten Theater wird der Tanzabend gezeigt – schon diese Konstruktion enthält eine Menge möglicher Stolpersteine, vom Budget angefangen bis zur Mammutaufgabe, die Disposition von vier unterschiedlichen Häusern unter einen Hut zu bringen. In Heidelberg, wo der Saarbrückener Ballettdirektor Cijn Stelis coronabedingt mit nur drei Protagonisten den Herbst erarbeitet hatte, drohte das Heim-/Gastspiel an akuten Krankheitsfällen im Ensemble zu scheitern. Der belgische Choreograf, den seine Biografie als perfekten Crossover-Künstler zwischen Ballett und zeitgenössischem Tanz ausweist, hat sein intensives Kammerspiel zum Thema Vergehen und Werden kurzerhand für zwei Tänzerinnen des Heidelberger Ensembles neu arrangiert und in wenigen Stunden einstudiert. Die atemlose Spannung zwischen den beiden Frauen war förmlich mit den Händen greifbar. In diesem sehr speziellen Herbst wohnt der reifen Ernte in jeder Sekunde das Wissen um die Vergänglichkeit inne, musikalisch auf den Punkt gebracht von Max Richter (dessen Vivaldi-Relaunch sich unter Choreografen generell hoher Beliebtheit erfreut).

Wo künstlerische Verantwortung geteilt wird, kann jeder Einzelne einen sicheren Freiraum finden. So jedenfalls scheint es Iván Pérez, dem Leiter des „dancetheatreheidelberg“ ergangen zu sein. In seinem Sommer sind die Elemente entfesselt, dem weiß-goldenen Geglitzer der Kostüme zum Trotz. Rauh, rebellisch und unheimlich ist die Musik des chilenischen Komponisten Miguelángel Clerc Parada, und auch die fünf Mitglieder von TANZBielefeld geraten – jeder auf andere Weise – in ein regelrechtes Tanzgewitter, bis alles mit einer Beschwörung des Sommers durch Vivaldi endet.

Roberto Scafati wollte einen kühlen, unwirklich weißen Winter mit der Kraft und besonderen Verheißung des Schneefalls. Musikalisch unterstützt wurde er von Davidson Jaconello, einem früheren Tänzer am Mannheimer Nationaltheater. Für eine spektakuläre Verwirklichung der Winter-Vision sorgten vier Tänzerinnen und ein Tänzer des Staatsballetts Saarbrücken, die wie ein eigenes kleines Ensemble die immense Kraft des Unisono mit wahren Körperexplosionen verbinden konnten – großes Tanzkino zum Abschluss, und ein begeistertes Publikum.

Dass alle vier Tanzdirektoren die Heidelberger Aufführungen persönlich begleiteten, spricht für sich. Diese neuartige Form selbstbestimmter Zusammenarbeit hat nach eigener Aussage jeder für sich als so bereichernd empfunden, dass der Weg frei ist für Nachfolgeprojekte – zumindest in den Köpfen.

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