"Good Old Moone" von Marco Goecke

Emotionale Umarmung

Die Dresden Frankfurt Dance Company löst in Dresden Hellerau mit „Zeitgeist Tanz“ ein altes Versprechen ein

Intensiv und berührend: Drei Arbeiten loten die Tiefe dessen aus, was uns ausmacht.

Dresden, 15/05/2022

Endlich. Das ist das Wort, das man unbedingt verwenden muss. Endlich konnte der so lange angekündigte dreiteilige Abend „Zeitgeist Tanz“ der Dresden Frankfurt Dance Company in Dresden Hellerau gezeigt werden, nachdem er coronabedingt immer wieder hat verschoben werden müssen. Endlich, weil er es absolut in sich hat und Tanzbegeisterte bereits im Vorfeld wussten, dass mit dem dreiteiligen Abend neben ausgesuchter Qualität sehr viel Emotionales auf dem Programm steht.

Den Anfang macht Jacopo Godanis jüngste Arbeit „Bach Off!“, in dessen Zentrum ein Cello-Spieler und sein Instrument stehen, oder besser: sitzen. Um einen einzelnen Musiker auf einem simplen Hocker herum agieren vier Tänzer*innen, die vor allem reagieren, den Cellisten umgarnen. Sie reagieren sichtbar auf die Kompositionen Bachs und scheinen nur durch dieses Cello-Spiel in ihrem Dasein legitimiert. Sie brauchen diese Musik, um sein zu können. Genau deshalb dirigieren sie den Musiker auch immer wieder aufs Neue in seiner Position auf der Bühne. Dabei sind sie aber nicht allein. Im Hintergrund, im Dunkel, kaum sichtbar, lebt es genau so, oder auch anders. Schatten sind es, eine größere Gruppe von Tänzer*innen, die vielleicht als Kommentatoren fungieren, vielleicht als Spiegel. Jacopo Godani wählt hier einen vergleichsweise ungewohnt schlichten Lichtraum, der nur zwischen Hell und Dunkel zu variieren scheint und farblos daher kommt. Irgendwann schließen sich alle zu einer Einheit zusammen, im Licht, sichtbar. Das Artifizielle im Bewegungsvokabular Godanis wirkt hier etwas zurückgenommen, gelassener, als es sonst für gewöhnlich über die Bühne fegt. Das hat ganz augenscheinlich den Fokus auf die Quelle der Musik zum Kern: Die Choreografie nähert sich räumlich immer mehr an den Musiker an, bis er schließlich sanft am Arm gegriffen wird und die Tänzer*innen, erst einzeln, dann immer größer in der Gruppe, die Armbewegungen aufgreifen, die das Führen des Bogens auf dem Cello sind. Zuvor scheint diese Bewegung bereits wiederholt, leicht angedeutet, in der gesamten Choreografie auf. Bis schließlich alle angebunden, verbunden sind mit der Musik, mit dem Cello, mit der Haltung des Arms. Alle bilden ein Netz aus Armen und Händen, die einen Ellenbogen berühren. Genau dann ist sie erreicht, die Symbiose aus Musik und Bewegung. Musik ist plötzlich sichtbar.

Sichtbarkeit ist auch ein starkes Element in Forsythes Klassiker „Quintett“ von 1993, dem herzzerreißenden Requiem, das keines ist. Dieses unbändige Fest des Lebens hatte der Choreograf damals seiner Frau gewidmet, die mit Krebs im Sterben lag. Die ikonische Musik von Gavin Bryars hat keinen geringen Anteil am Kult-Charakter dieser äußerst sensiblen, hochemotionalen Arbeit. Die Dresden Frankfurt Dance Company tanzt „Quintett“ nicht zum ersten Mal. Äußerst kongenial und bemerkenswert sensibel war das Stück auch schon vor Jahren vom Ensemble der Semperoper interpretiert worden. Im Vergleich dazu muss man sagen, dass die Interpretation der Truppe um Godani nach wie vor etwas hölzern ausfällt. Was in jedem Moment sichtbar ist, ist ein Ensemble, das es gewohnt ist, in Hochgeschwindigkeit über die Bühne zu fegen. Die leisen, sanften Töne, die Verzweiflung, der Kampf, all das ließe sich hier tänzerisch deutlich sensibler erfühlen.

Genau die Hochgeschwindigkeit, die messerscharfe Präzision, die man von diesem Ensemble kennt, können die Tänzer*innen schließlich im definitiven Höhepunkt des Abends ungebremst zeigen. Marco Goeckes „Good Old Moone“ mit dem betörenden Sprechgesang Patti Smiths ist dem Ensemble im Wortsinn auf den Leib geschneidert. Es ist eine Schande, dass dieser Choreograf, der in diesem Jahr mit dem Deutschen Tanzpreis geehrt wird, bislang mit noch keiner Arbeit in Dresden zu erleben war. Dieser Mann, dessen Arbeiten allesamt unisono wertschätzend als fiebrig bezeichnet werden, liefert hier ein verstörendes, kaltes Menschenbild, das gleichzeitig in seiner Sehnsucht nach Wärme das Publikum geradezu überwältigt. In einem leeren Raum, der nur durch Bühnennebel strukturiert wird, agieren die Tänzer*innen in schwarzen Hosen, die Tänzer mit freiem Oberkörper, die Tänzerinnen in dunkelblauen Oberteilen, die damit trotzdem keine Farbe einbringen. Marco Goecke choreografiert so, als ginge es ihm ausschließlich um Arme und Hände. Beine scheinen nicht Teil des Vokabulars zu sein. Seine Hände und Arme aber sprechen Bände, sprechen von Angst, Getriebenheit und Orientierungslosigkeit. In diesem diffusen Raum der Einsamkeit ist alles kantig, während Patti Smith von „fucking perfect“ spricht. Dabei ist diese Kälte ein Schrei nach Emotionen. Anne Jung ist es deshalb, die in ihrem grandiosen Solo schreit. Und schreit. Und immer noch schreit. Still wird es erst ganz am Ende, wenn eine so simple wie innige Umarmung zweier Tänzer wortlos zeigt, wonach wir uns alle so bitter sehnen.

 

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