„Das Leben ein Tanz“

„Wenn ich nicht tanze, tut es noch mehr weh.“

Was folgt, wenn der Traum vom Tanzen platzt?

Cédric Klapischs berührender Film „Das Leben ein Tanz“ feierte in Starnberg seine Premiere im Rahmen des Fünfseenfilmfestivals

Der Titel „Das Leben ein Tanz“ klingt nicht gerade spektakulär, eher lang und weilig. Vielmehr fühlt man sich an vielleicht angestaubte Schlagertitel der 70er Jahre erinnert. Nicht so hier in Cédric Klapischs kurzweiligem und spritzigem Film. Dass der Titel im Original „en corps“ lautet, hat sicherlich seine Bedeutung, wenn nicht gar seine facettenreichen Bedeutungen. Übersetzt heißt „en corps“ - ‚im Körper‘, oder ‚ganz und gar‘ im Sinne von Leidenschaft. So kann man sich auf einen unterhaltsamen und zugleich tiefgründigen Film voller Leidenschaft freuen.

Bereits die bemerkenswerten Aufnahmen vor und hinter der Opernbühne, dem Ort des Geschehens zu Beginn dieses Films, ziehen den Betrachter in den Bann, was zeigt, dass sich Klapisch bestens auch hinter der Bühne auskennt. Diese Filmausschnitte spiegeln die hektische und hoch angespannte Stimmung, die kurz vor Beginn einer Vorstellung herrscht, bevor sich der Vorhang hebt, womit wir mitten im Geschehen angelangt sind.

Die 26-jährige Elise (Marion Barbeau) steht am Anfang einer vielversprechenden Tanzkarriere und tritt als Solistin in einem klassischen Ballett auf. Die Vorstellung beginnt, als Elise nach einem Sprung so unglücklich stürzt, dass an ein „Weiter so!“ nicht im Entferntesten zu denken ist. Buchstäblich am Boden zerstört ist Elise nach der ärztlichen Diagnose - gleichbedeutend mit dem Karriereende als Balletttänzerin. Doch ihre eiserne Disziplin macht Mut. Nach und nach gelingt es Elise, sich von ihrem „alten“ Leben zu lösen, sich neu zu orientieren, sich neue Lebensziele zu setzen und Freunde zu finden. Dabei hilft ihr im wahrsten Sinne auch die Luftveränderung. Elise nimmt Abschied von Paris und beginnt ein neues Leben in Freiheit, in der Bretagne. Was sie dort erlebt, ist weit mehr als nur Ablenkung. In dieser ländlichen Umgebung unweit des Meeres findet sie in einer Art Künstlerkolonie (ähnlich wie Schloss Elmau in den 70erJahren - nur kleiner) Ansprache, vor allem zu sich selbst.

Mit dem Faktotum dieser Institution, Josiane (Muriel Robin) und ihrer lustigen und einfallsreichen Küchenentourage (Pio Marmaï, Souheila Yacoub) erlebt Elise jede Menge Spaß mit unglaublich witzigen und herzerwärmenden Szenen, mitten aus dem Leben gegriffen. Unübersehbar und perfekt platziert sind aber auch die Fettnäpfchen, die gerade auch bei den Begegnungen auf dem Lande ihren (Fettnapf)zweck zur vollsten Zufriedenheit erfüllen - gnadenlos komisch, passend zur insgesamt positiven Grundstimmung dieses Films. Diese menschlichen Fauxpas rufen in Erinnerung, wie wenig perfekt das Leben ist: Ganz gleich, ob es sich beispielsweise um Elises Therapeuten Yann (François Civil) handelt, der selbst einer Therapie bedarf, weil Amor ihn jäh abgestraft hat oder Elises Juristen-Vater Henri (Denis Podalydès), der aus seiner Haut als Jurist einfach nicht herauskommen kann.  Vielmehr stellt er sich, der es gut mit seiner Tochter meint, für Elise ein Jurastudium und ein „intellektuelles Leben“ vor, wie – aus Sicht ihres Vaters – es nur in der Literatur des 17. und 18. Jahrhundert zu finden ist. Der Film, der voller tragikomischer Episoden und ironischer Anspielungen steckt, die das Leben selbst schreibt, trägt insofern auch dokumentarische Züge, ganz im Sinne und in der Tradition Cédric Klapischs Filmschaffens. 

Zunächst hatte der Regisseur die Idee, einen Film über die Tanzindustrie zu schaffen, mit den verschiedenen Tanzrichtungen wie klassisches Ballett, Hip-Hop und Zeitgenössischem Tanz (Hofesh Shechter). Um dieses Thema einem breiten Publikum zugänglich zu machen, erfindet Klapisch eine einfache, lebensnahe wie geniale Geschichte, wie sie Elise und sicherlich auch viele andere Tänzer*innen erleben oder nachvollziehen können. Mit „Das Leben ein Tanz“, seinem 19. Film, verneigt sich Klapisch nicht nur vor dem Tanz als Kunstform, sondern auch vor der Schauspielkunst. Klapisch gelingt es hier, Tanz und Schauspiel auch sprachlich miteinander zu verknüpfen. Tänzer*innen übernehmen in dieser Produktion auch Sprecherrollen, was eher ungewöhnlich ist, sich aber als passendes Stilmittel erweist.

Auch die Cuts zwischen Küche und Tanz zeigen, wie souverän Klapisch sein Handwerk versteht und damit immer für Abwechslung sorgt, ohne in Oberflächlichkeit abzudriften. Mit seiner scharfsinnigen Beobachtungsgabe und der Liebe zum Detail gelingt es Klapisch, den Blick des Zuschauers zu leiten, mehr noch, den Zuschauer zu packen. Die aufwendige und mitreißende Produktion mit stimmungsvollen Aufnahmen, Geist und Witz bis ins Detail, seinen ausnahmslos hervorragenden Akteuren mit deren inspirierender Natürlichkeit wird mit seiner mutmachenden Botschaft, das Hier und Jetzt zu leben, ein breites Publikum auch jenseits des Tanzes erobern.

Kommentare

Noch keine Beiträge