"En vogue" am Nationaltheater Mannheim
"En vogue" am Nationaltheater Mannheim

Bühne frei für trendigen Tanz

Zwei Uraufführungen beim neuen Mannheimer Tanzabend „En vogue“

Zwei Choreograf*innen-Duos beweisen das große Potenzial von künstlerischen Zusammenarbeiten: mit Paul Blackmans und Christina Gouzelis' vielschichtigem "EON" und Imre und Marne van Opstals aktuellem und zeitlosem "The little man".

Mannheim, 22/02/2022
„En vogue“ heißt der neue Mannheimer Tanzabend und reklamiert damit, zeitgenössisch im Trend zu sein. Eingelöst wird diese Etikettierung von zwei mal zwei Choreograf*innen – dass Tanzchef Stephan Thoss einen Tanzabend nicht nur komplett aus der eigenen choreografischen Hand gegeben, sondern jeweils einem Choreografen-Duo überantwortet hat, ist allein schon ein Beweis für Trendgespür. Auch unter Tanzschöpfer*innen scheint die Erfahrung umzugehen, dass das Ganze mehr sein kann als die Summe seiner Teile – sprich kreatives Potenzial sich nicht nur summieren, sondern potenzieren kann.

Paul Blackman und Christina Gouzelis (Athen) arbeiten seit über zehn Jahren zusammen und haben schon zahlreiche internationale Erfolge für ihre ausgefeilten ästhetischen Konzepte eingeheimst, in denen sie auf eine besondere Aura für den Tanz bauen – vielfach unterstützt durch eine große Bandbreite künstlerischer Genres.

Ein bisschen Geheimnis muss sein: Wofür der riesige, über-mannshohe schwarze Felsbrocken mit zerklüftetem Umriss und polierten Flächen steht, der die Bühne im Tanzstück „EON“ beherrscht, bleibt so vieldeutig wie der Titel des Stücks. Sieben Mitglieder des Mannheimer Tanzensembles arbeiten sich förmlich an dem ebenso attraktiven wie bedrohlichen Ungetüm ab. Lässt es sich anfangs überklettern, so pendelt es später am Stahlseil – Bedrohung und Verheißung zugleich. Das emotionale Wechselbad wird präzise orchestriert von einer Auftragskomposition (Christos Parapagidis); Kostümbildner Malte Lübben löst mit einem individuell upgestylten Mix aus Street- und Sportswear im Farbspektrum Schwarz-Weiß-Rot das Motto des Tanzabends perfekt ein.

Dem Choreograf*innen-Duo bleibt die Aufgabe, aus dieser attraktiven Ästhetik Funken zu schlagen, und diese Herausforderung meistern sie bestens. Vom Ringelreihen um den Koloss bis zum Chaos durch die tonnenschwere Bedrohung, von individueller Herausforderung bis zum Finden gemeinsamer Aktionen bleibt das Stück abwechslungsreich. Am Ende überrascht ein fingierter Countdown.

Dem Eingangsstück „The little man“ kann man ebenfalls getrost bescheinigen, choreografisch auf der Höhe der Zeit zu sein. Aber mit diesem Etikett würde man der Gemeinschaftsarbeit von Imre van Opstal und Marne van Opstal (zwei von vier im Bühnentanz aktiven Geschwistern) nur unzureichend gerecht. Ihr Trio vereint zeitgenössische Aktualität mit zeitloser Individualität: Was sie über den „Kleinen Mann“ zu sagen bzw. zu zeigen haben, hat das Zeug dafür, im Gedächtnis haften zu bleiben. Leonardo Cheng und Albert Galindo sind zwei der vier Newcomer im Mannheimer Ensemble – ihnen und Paloma Galiana Moscardó haben die niederländischen Geschwister ebenso athletische wie emotional berührende Bewegungen auf die agilen Körper geschneidert. Gefangen in einem Verhau aus Sprossenwänden, aus dem es kein Entkommen gibt, versuchen die Drei es mit großem individuellen Körperkino, bevor sie in einem bewegenden Augenblick zu einer emotionalen Gemeinsamkeit finden. Am Ende kauern sie in einem Körperknäuel ganz oben in einer Ecke ihres Käfigs – ob ein Entkommen in Sicht ist oder das Gefängnis so nur besser zu ertragen ist, bleibt in der Schwebe.

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