„Folk Fiction“ von Sebastian Weber

„Folk Fiction“ von Sebastian Weber

Die tanzen ja einfach

Sebastian Webers „Folk Fiction“ erzählt, ohne zu dozieren

Die Performance der Leipziger Sebastian Weber Dance Company widmet sich kollektiven Identitäten und entstand bereits vor Corona. Ohne Verkopftheit gelingt den sieben Tänzer*innen eine entspannte Arbeit zwischen Individuum und Gruppe.

Radebeul, 17/10/2020

Entstanden ist diese Arbeit, die sich im Kern kollektiven Identitäten widmet, bereits vor Corona und wurde vergangenen März im Lofft uraufgeführt. Jetzt war sie an den Landesbühnen Sachsen in Radebeul zu sehen und ist noch einmal ganz anders lesbar. Jetzt, da sich angesichts der angespannten Lage unterschiedlichste Meinungslager gereizt gegenüberzustehen scheinen. Bist Du nicht meiner Meinung, bist Du draußen. Solchen ausschließenden Abgrenzungen wird hier aber eher eine lange Nase gedreht.

In „Folk Fiction“, der völlig entspannten Arbeit der Leipziger Sebastian Weber Dance Company, hat Volkskunde keinen Platz. Volkslehre ist da schon eher so ein Ding. Das macht sich daran bemerkbar, dass sofort, vom ersten Moment an, klar wird: Hier sucht man die so oft im Tanz bedeutungsschwanger vor sich hergeschobene Verkopftheit vergebens. Die tanzen einfach. Aber nicht ohne Konzept. Vier Tänzerinnen, drei Tänzer, unter ihnen Sebastian Weber selbst, die kaum unterschiedlicher sein könnten. Selbst in synchronisierten Szenen fällt die Individualität im Ausdruck eines jeden Einzelnen ins Auge. Die kollektiven Exerzitien, und davon gibt es jede Menge, lassen das Individuum nicht unsichtbar werden. Vielmehr lässt sich ein Schutzraum ablesen, in dessen Innerem die Möglichkeit persönlicher Entfaltung besteht, ein sich selbst austesten. Genau das tun die Tänzer*innen lautstark. Der Stepptanz mit seinem kraftvollen Ausdruck verbindet sich geradezu sinnhaftig wie sinnlich mit dem Behaupten des Kollektivs.

Sebastian Weber beschäftigt sich schon einige Jahre mit dem Stepptanz, und das nicht ganz ohne Erfolg. Letztes Jahr erhielt er für seine Arbeit „Cowboys“ den Sächsischen Tanzpreis. Diese Anerkennung lässt ahnen, dass sein Zugriff auf die Tradition des Stepptanzes tatsächlich ein zeitgemäßer ist, der sich mutig aus dem Fenster lehnt und Einflüsse aus jeder nur erdenklichen Kultur verarbeitet und gestische Tendenzen in Richtung Tanztheater zulässt. Das Ergebnis ist leichtfüßig. Der Stepptanz als solcher dominiert nicht, sondern ist Teil der Arbeit.

Hier wird er beispielsweise durch eine Vielzahl an tableaux vivants ergänzt, die zu Standbildern für die Ermöglichung der Gruppenerfahrung gerinnen. Der Moment wird festgehalten, um ihn zu beweisen. Trotzdem, ganz egal, wie sich jenes Kollektiv selbst definiert, welche Werte verbindende Elemente darstellen, sichtbar bleibt das Individuum, das, einzeln betrachtet, eben nicht die kollektive Einheit darstellt. Am Grund liegen Bewegungsabfolgen, die allen bekannt sind und die die Tänzer*innen immer wieder zusammenbringen. Aber wer wann mit den Fingern schnippst, in die Hände klatscht oder die Sohlen auf den Boden krachen lässt, ist auch eine Frage individueller Freiheit. Kollektive Einheit bietet hier also Sinn, wenn der oder die Einzelne was draus macht.
 

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