„Different“ von Olga Pona

„Different“ von Olga Pona

Tanz ist alles für mich

Olga Ponas „Different“ im Pumpenhaus Münster

Tanz als individuelle Überlebensstrategie ist das Thema. Viel mehr als eine tanztechnisch stupende kleine ‚Plauderei aus dem Nähkästchen‘ bietet Olga Ponas jüngstes Stück.

Münster, 17/03/2019

„Different“ entstand, wie einst Pina Bauschs Tanztheater-Revuen, in Zusammenarbeit mit den acht auftretenden Tänzerinnen im Alter zwischen Anfang zwanzig und Mitte vierzig. Aus anrührenden Statements und Kontemplationen über Tanz als Sein, als Beruf und Berufung, komponiert die Russin ihre Choreografie.

Die Aussagen werden in deutscher Übersetzung auf den Rückprospekt projiziert. Das erfordert von den ZuschauerInnen einen Balanceakt zwischen Sprache und Bewegung, lesen und zugucken - zumal die Formulierungen punktgenau offenbaren, was die Körpersprache über Denken und Empfinden der Tänzerinnen in Soli, Duetten oder Clustern verrät. Tanzen wird zur ‚Suche nach dem eigenen Ich‘.

„Wenn du tanzt, tickst du anders“, erklärt eine ganz junge Aufmüpfige. Tanz sei alles für sie. „Ich will ganz Ich sein“, grenzt eine ältere, lebenserfahrene Solistin ein und erläutert: „harmonisch, ausgeglichen, reif und glücklich“. Eine dritte kauert vorn an der Rampe, verliest ihre traurige Lebensgeschichte, dominiert von gewalttätigen Machos - und wie der Tanz ihr Rettung brachte.

In modisch gestylten Jumpsuits treten alle zunächst auf, später in hauchzarten, rauchfarbenen Batistkleidchen und dunkelgrauen Leggings bis hinunter zu den Fesseln der nackten Füße - erst also unisex- oder arbeits-mäßig, dann betont weiblich. Individuell wirken sie vor allem durch ihre blonden, braunen oder schwarzen Pferdeschwänze, die offenen langen Mähnen oder burschikose Bubiköpfe. Auch sind sie deutlich unterschiedlich im Alter. Aber was Tanz für sie bedeutet, eint sie.

Ihre Statements, die im Finale nochmals im Zeitraffer auf der Leinwand abgespult werden, wenn die Gruppe nebeneinander aufgereiht vor dem Publikum steht, unterstreichen getanzte Sequenzen - allein, paarweise oder als Gruppe - zu Beginn festgehalten von schwarzen Gummileinen, die das Entkommen verhindern. Später frei und freimütig in allen gefühlsmäßigen Nuancen von Ratlosigkeit, Sehnsucht, Show, Trauer und Angst bis zu zärtlicher Umarmung oder feindseliger Aggression und Rivalität.

Poesie und Fantasie, effektvoll unterstrichen von der musikalischen Collage, wechseln mit Alltagsrealität aus dem TänzerInnen-Leben. Pona hat ein raffiniert innovatives Körperkunststück geschaffen mit einem Vokabular zwischen klassischem Ballett und zeitgenössischen Tanztechniken, unterhaltsam und staunenswert auch durch Elemente des Street Dance und zirzensischer Biegsamkeit.

Seit Martin Schläpfers Spiel mit Verve und Erfindungskraft auf der ‚Klaviatur‘ seiner Kompanie in Mainz und anfangs beim Ballett am Rhein habe ich keine derart originelle choreografische Tanzkreation erlebt. Wenn Theaterkunst sich so virtuos und ehrlich an der Lebenswirklichkeit abarbeitet, ist es kein Wunder, dass es für Olga Pona und ihr „Chelyabinsk Contemporary Dance Theater“ alljährlich Nominierungen für den renommiertesten russischen Theaterpreis „Goldene Maske“ regnet.

Münsters kleines rustikales „Theater im Pumpenhaus“ - eine der ersten deutschen Tournée-Stationen dieser Produktion - ist (neben dem nrw-tanzhaus) fast eine zweite Heimat für die Truppe der mutigen Verfechterin individueller Lebensformen im restriktiven politischen System Russlands. Die treue Anhängerschar spendete minutenlangen Applaus.
 

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