Das Bundesjugendballett wagt mit „Gipfeltreffen - Reformation“ einen Versuch.

Das Bundesjugendballett wagt mit „Gipfeltreffen - Reformation“ einen Versuch.

Wie tanzt man Reformation?

Das Bundesjugendballett wagt mit „Gipfeltreffen - Reformation“ einen Versuch

Die gute Idee dieses 'Gipfeltreffens' war von gemischtem Niveau. Die Tänzer aber zeigten sich wandelbar, engagiert und kraftvoll-ausdauernd.

Hamburg, 15/01/2017

Wie tanzt man Reformation? Das Bundesjugendballett und das Bundesjugendorchester haben sich bei ihrem ‚Gipfeltreffen’ zum Reformationsjubiläum in der Hamburger Staatsoper keine leichte Aufgabe gestellt. Martin Luthers Frage, wie man als Mensch vor seinem Schöpfer-Gott bestehen kann, ist in der jugendsprühenden Spaßgesellschaft heute schon eine ungewöhnliche, und die Antwort noch viel mehr: durch Gnade, weil Christus alle Schuld eingelöst hat. Daraus resultiert ein Grundgefühl der Befreiung, denn man muss und kann sich nicht mehr durch Buße und fromme Werke und per Gebet wohlgestimmte Heilige einen guten Fuß bei Gott machen, die Liebe waltet schon und soll nun mit Freuden weitergegeben werden. Das alles versucht der Ballettabend „Gipfeltreffen - Reformation“ auf die Bühne zu bringen.

John Neumeiers wunderbare, funkensprühend-lebensfrohe Choreografie der „Suite Nr. 3“ von Johann Sebastian Bach atmet ganz in diesem Geist. Aus allen Richtungen springen die jungen Tänzer herein, lassen die klassischen Figuren in einer fröhlich-unbeschwerten Kette wirbeln, als seien sie und das Leben im Lichte dieser Befreiung nur noch Freude und Abglanz der ewigen Liebe. In flottem Tempo werden Sprünge und Pirouetten auf die Bühne geweht und von der nächsten Gruppe wieder abgeräumt, zappeln die Beine unklassisch lustig in der Hebefigur und flattern die Battements in alle Richtungen.

Im ruhigen Air sind die Handflächen offen den Menschen zugewandt, es gibt keinen Hinterhalt, die Tänzerin kippt in den bergenden Arm des Partners. Dann wieder Pirouettenketten und Manège in den folgenden Tanzsätzen, mit klassisch ungewöhnlichen Pointen, wenn jeder zweite Tänzer mit dem Rücken zum Publikum landet. Die strenge Form ist bei aller technischen Virtuosität etwas aufgehoben ins Spielerische. Die jungen Tänzer wirbeln das trotz ein paar Wacklern eindrucksvoll auf die Vorderbühne, die teils fliegenden Auftritte sind ohne Gassen und seitwärts am Orchester auf der Hauptbühne vorbei nicht immer einfach. Aber wer Bach von den fein aufspielenden jungen Musikern hört und Neumeier von den variantenreich dreinspringenden Tänzern sieht, begreift ein Stück Reformation.

Auch Felix Mendelssohn-Bartholdys „Reformationssinfonie“, seine Nr. 5, wird unter Alexander Shelleys sanft forderndem Dirigat zu einer lichten Ausdeutung reformatorischer Befindlichkeit, hier mehr der philosophisch-theologischen Gedankenarbeit. Dafür sorgen schon das mystisch aufsteigende Dresdner ‚Amen’, das auch Wagner in seinem „Parsifal“ verwendet hat und das hier den direkten, nicht erst durch Priester und Heilige vermittelten Zugang des Menschen zu seinem Gott symbolisieren mag. Und eben das bekennerhafte Choral-Zitat „Ein feste Burg ist unser Gott“, das Shelley in schöner Durchhörbarkeit vorstellt, noch nicht kämpferisch, sondern als Gedanke, wie er Luther im Grübeln bei der Bibelübersetzung gekommen sein mag.

Die jungen Tänzer haben der Sinfonie zwei Choräle Luthers vor- und eingesetzt, die einen brütenden Rebellen in Jeans und schwarz bemäntelte Kleriker zeigen, was den seinerzeitigen Luther mit einer Art Mick Jagger rückkoppeln mag. Der Reformator war ja stets auch anstößig, hatte sich gegen Dämonen, weltliche und geistliche Mächte zu behaupten.

Da setzt auch Andrey Kaydanovskiy, Träger des „Deutschen Tanzpreises Zukunft 2016“ ein, der die Uraufführung von Michael van der Aas „Reversal“ choreografiert hat. „Reversal“, also Umkehr, war ja das eigentliche Anliegen Luthers, nämlich eine Reformation der Kirche auf die ursprünglichen biblischen Aussagen hin, unabhängig von Doktrinen. Kaydanovkiy zeigt eine Gruppe in verschiedensten Posen der Anbetung und einen einsamen Beter am Kerzenlicht. Wir erleben ihn weinend, zitternd, im Ringen mit Gottes Wort zu großer Orchesterwalze und Crescendo. Einer tippt ihm zu Xylophonschlägen an die Stirn, und nachdem sie ihn in ihre Gruppe gezogen haben, er sich durch sie hindurchgekämpft hat, tippen, ticken alle so.

Da geht es mit ihm schon zu Ende, zu Glockenschlägen wird er zu Grabe getragen und bekommt seine alte inspirierende Gebetskerze in die gefalteten Hände gedrückt. Hat er sich durchgesetzt, werden seine Ideen bestehen? Die Choreografie bleibt merkwürdig biografisch-erzählerisch, die Tippgeste ist leider gänzlich banal in einem großen Ideenzusammenhang, das Anliegen steter Umkehr aus der Konvention hätte sich symbolischer fassen lassen. Die Tänzer spielen das gut, aber auf Höhe der reformatorischen Ideen ist diese Choreografie nicht.

Folgte am Ende noch Enjott Schneiders sinfonisches Gedicht über Luthers „Feste Burg“-Choral, das Zhang Disha kreiert hat. Schneider bringt den Choral in immer neuen Variationen und lässt ihn am Ende durch eine Friedensutopie allgemeinen Vogelgezwitschers ablösen. Das ist schon rein musikalisch eine etwas banale Pointe, und Disha macht daraus eine auch politisch recht naive Pantomime. Der Beginn ist noch ganz gelungen, wenn eine Frau mit Kissenbündel und ein Mann wie die heilige Familie auf der Flucht eine sensible Studie über Stürzen und Halten tanzen. Aber wenn dann Trompeten und Trommeln zum Krieg rufen, ein Tänzer eine Papprakete ins Spiel bringt, vor der sich die Gruppe hinwegducken muss, alle aufrüsten mit Raketenteilen, die von ihren Kostümen abstehen, dann geht das ‚Gutgemeinte’ doch wohl mit dem Künstlerischen durch.

Lustige Pantomimen, mit denen die anderen dem fragenden Blick des einen ausweichen, wechseln mit der Geburt eines grünen Knäuels, aus dessen immer kleineren Knäueln letztlich eine Schere gewickelt wird, mit der sich die Menschen zum finalen Friedenszwitschern die Raketen wieder abschneiden. Halleluja! Gießkannen und eine Pappsonne lassen dann auch noch eine fiktive Pflanze wachsen – selbst wenn es Luthers Apfelbäumchen wäre, ist das doch zu pantomimisch umgesetzt, als dass es den komplexen Gedanken der Reformation und den Ansprüchen des Bundesjugendballetts gerecht würde.

Die gute Idee dieses Gipfeltreffens war insofern von gemischtem Niveau. Die Tänzer aber zeigten sich wandelbar, engagiert und kraftvoll-ausdauernd, auch noch mit virtuosen „Bernstein-Dances“ in der Zugabe.

Unser Blogger Günter Pick widmet sich dem Bundesjugendballett und -orchester in seinem Beitrag Standing Ovations.
Weitere Gastspiele finden an folgenden Orten statt: Berlin (16.1.), Dresden (18.1.) und Ludwigsburg (20.1.)

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