„The Ghosts“ von Constanza Macras

 „The Ghosts“ von Constanza Macras

Tanz im August – Finale im September | Ein Nachklapp

Pick bloggt: La Veronals „Voronia“, eine Show im Friedrichstadtpalast und Constanza Macras „The Ghosts“

Ein Festival auf dem öffentlichen Prüfstand

Berlin, 18/09/2015

Tanz im August ist seit vielen Jahren ein etabliertes Festival in Berlin und hat einen Namen. Ob es wichtig sei oder die Sorte Kunst, die teuer ist und eventuell auch weg könne, wurde leider oft diskutiert. Ich war erst ganz zum Schluss da und habe La Veronal, die erstaunliche spanische Gruppe, gesehen. Dann hatte ich ein zweifelhaftes Vergnügen: eine quasi Werbeveranstaltung des Staatsballetts zur Spielzeiteröffnung auf der Hauptbühne der Deutschen Oper zu sehen, die aber lediglich eine öffentliche Probe war mit dem Chef der Compagnie Nacho Duato – trotz Rückenschmerzen. Vielleicht lag es daran, dass er seinen Charme in der Garderobe gelassen hatte und auch vergaß, wenigstens die Protagonisten namentlich vorzustellen. Ich fragte eine junge Dame, ob sie denn nun für das Staatsballett eingenommen sei und gern wiederkommen würde, was sie, kein Fan oder Insider, nach kurzem Zögern eindeutig beantwortete: Nein! Dem kann ich leider nicht widersprechen. Hinterher war ich im Friedrichstadt-Palast und kurz in Leipzig, aber ausnahmsweise wegen einer freien Schauspielproduktion und wieder in Berlin bei Constanza Macras, der Argentinierin an der Schaubühne.

Also der Reihenfolge nach: Der Autor, Choreograf und Leiter von La Veronal, Marcos Morau hatte sich vorgenommen in seinem neuen Stück „Voronia“ das Übersinnliche, Religiöse in verschieden Schattierungen, das was uns Angst macht und weswegen die Menschen sich in Glaubensgemeinschaften zusammentun, darzustellen. Man erfindet Regeln, mit Strafen bei Zuwiderhandlung, und allem was man sich so ausmalen kann. Gnade ist in diesem Stück mit Ausnahme eines Kindes ausgeschlossen. Dazu gibt es Weisheiten (Bibelzitate etc.), als deutsche und englische Übertitel. Der Katholizismus lässt von weitem grüßen. Wie viele spanische Künstler haben sie sich mit dem Thema Erfolg auseinandergesetzt, z.B. Lorcas „Bernarda Albas Haus“, das ein Dauerbrenner – auch bei Choreografen – ist. In diesem neuen Werk „Voronia“ ist alles hochprofessionell, vor allem diese gnadenlos guten Tänzer! Auch das aufwendige Bühnenbild und die Beleuchtung sind für eine freie Produktion außergewöhnlich. Nur die Kostüme ließen die Compagnie erscheinen, als hätten sie sich in ihren schwarzen fräckchen-artigen Outfits, die ihnen allerdings alle Möglichkeiten gaben, sich noch und nöcher zu verrenken, um den Preis für möglichst abstoßende Individuen beworben. So habe ich das noch kaum je gesehen, außer bei Kontorsionisten im Varieté, falls dies nicht sowieso die Sprache des Choreografen ist. In diesem Fall habe ich es als eine Sichtbarmachung der Seelenqualen dieser Menschen verstanden.

Die Krönung ist eine Versammlung von Domestiken, bewaffnet mit Staubwedel, -sauger, Besen, Schaufel und Putzlappen, um den blütenreinen roten Teppich zu bearbeiten. Schließlich nehmen sie an einer mit Kristall, feinstem Damast und Blumen bereiteten Tafel Platz, verstärkt durch einige Kirchenmänner. Hysterisch schreiend besteigt eine Frau den Tisch und man bemerkt, dass ein Aufzug im Hintergrund, wann immer die Türen sich öffnen nur gen Hades oder Hölle abwärtsfährt; z. B. in einem kurzen Bild von nach einem Ausweg suchender Nackter, die in diesem Lift gefangen sind. Ein Vorgeschmack darauf, was ihnen allen – uns allen – droht. Das alles findet anfangs auch zu fernöstlichen, dann aber nur noch bombastischen Klängen der Komponisten Wagner und Verdi statt, die ich noch nie so schamlos verwurstet gehört habe. Das Ganze mit Auszügen aus Werken, die sich ebenfalls mit einem pseudo-religiösen Hintergrund, wie z. B. Parsifal, beschäftigen. Ich war zwischendurch immer mal wieder an La Fura dels Baus, die ebenfalls in Barcelona residierende Theatergruppe, erinnert; allerdings nicht ganz so drastisch und auf der geschmackvollen Seite. Glücklicherweise kam in den vorher so verhärmten Gesichtern und Körpern der Tänzer bei dem stürmischen Applaus sichtlich Freude auf. Also doch kein Preis für Unattraktivität!

Zur Abwechslung dachte ich mir „Gehst du mal wieder nach langer Pause in die Show im Friedrichstadt-Palast“ und rief die Ballettchefin Alexandra Georgieva an. Leider war sie dann an dem Abend nicht da, so haben wir uns nicht gesehen, denn ich fuhr ja am nächsten Tag nach Leipzig. Aber ich glaube, sie hätte sich nicht sehr über das gefreut, was ich zur Show zu sagen hatte. Nein, es ist nicht das Ballett, das mich so enttäuscht hat. Vom Standard her sind das alles Top-Leute und präzise tanzen sie auch in den Revueszenen, die ja zu 50% den Abend ausmachen. Aber die Idee mit einem durchaus altmodisch inszenierten Ballett-Exercise an der Stange mit einem Ballettmeister aus dem 19. Jahrhundert inklusive Stöckchen anzufangen, zieht den Abend gleich runter. Daran ist auch schuld, dass diese Szene ohne Dekor gespielt wird und das habe nicht nur ich so empfunden, sondern die Zuschauer, die um mich rumsaßen auch – wie bei meinem Besuch beim Staatsballett. Das hat weder Witz, noch ist es attraktiv, sondern äußerst platt; Komödienstadl lässt grüßen. Und es hilft auch nicht, dass einige der Tänzer ihre Tricks vorführen dürfen, als seien sie eher Teil der guten Akrobaten. Man bemüht sich ja heutzutage mit Erfolg, einer Revue einen Handlungsfaden zu geben, damit die einzelnen Nummern, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, fast selbstverständlich stimmig aussehen. Das ist in diesem Fall deutlich danebengegangen. Paris als Vorbild ist lange nicht mehr das Mekka der Revue; in Las Vegas war ich noch nicht, aber wenn es so ist, wie diese Show sich in Berlin zeigt, muss ich da nicht hin, sondern warte lieber bis Cirque du Soleil wieder vorbeikommt.

Dann hatte ich das Glück noch eine Karte für die Schaubühne am Lehniner Platz zu bekommen, wo ich so hinreißende Inszenierungen von Peter Stein gesehen habe, ehe er sich entschloss in Richtung Italien weiterzuziehen. Ein ganz Großer des deutschen Theaters. Aber das Ticket war für die Premiere von Constanza Macras „The Ghosts“. Schon das Bühnenbild fand ich außerordentlich befremdlich, denn ich nahm an, es handle sich um einen Tanzabend und eine Bühne vollgepackt mit Podesterie scheint da eher abträglich. Da das Personal aber in erster Linie aus asiatischen Akrobaten bestand, machten ihnen die Podeste nichts aus. Es gab außerdem ein bildschönes Solo des einzigen Europäers, der förmlich von einem Podest zum nächsten floss und ich die Stufen regelrecht vermisste als er auf der einzigen freien Fläche angekommen war. Sonst gab es keinen Tanz, sondern viel Text in chinesischer Sprache, der entweder in englischer oder deutscher Sprache übertitelt war, mich aber nicht die Bohne interessierte, denn weder eine Handlung noch „Ghosts“ waren zu entdecken.

Die Darsteller wollten oder sollten wohl etwas über die Bedingungen, auch Traditionen in ihrer Heimat, wo es keine „Transition“ für Akrobaten gibt, erzählen, aber bei mir kam keine Botschaft an und ich fürchte so ging es den meisten Zuschauern. Es gab einen wunderbaren Musiker im Hintergrund mit Trommeln, asiatischen Blas- und Streichinstrumenten, der den Abend erstklassig begleitete und dem erwähnten Solo sowie einer Einlage etwas Besonderes verlieh – mit einem quadratischen, offensichtlich sehr schweren Tisch, den eine Akrobatin auf dem Rücken liegend rasend schnell mit den Füßen in verschiedene Richtungen drehte, hochwarf und wieder auffing; erstaunlich! Sie hätte auch im Friedrichstadtpalast Eindruck gemacht und es gab sogar einige Mutige, die applaudieren wollten. Dem Publikum wurde viel Geduld abverlangt, besonders, da der Anfang wiederholt werden musste, weil die Projektionen ausfielen, der Text nicht übersetzt wurde – was mir nicht gefehlt hatte, wie schon erwähnt – und man geduldig das Ende abwartete, um freundlich zu applaudieren; und nicht mehr. Erstaunlich für die sonst so kritischen Berliner.

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