„Claude Vivier – Enlightened Child“ von Natalia Horecna
„Claude Vivier – Enlightened Child“ von Natalia Horecna

Das erleuchtete Kind in uns allen

Das Bundesjugendballett und das Ensemble Resonanz mit „Claude Vivier – Enlightened Child“ beim Festival „Greatest Hits“ in der Kampnagelfabrik

Hier entsteht, sich Stück für Stück immer mehr ineinander verwebend, ein Gesamtkunstwerk, das dem Menschen Claude Vivier ebenso gerecht wird wie dem Künstler

Hamburg, 26/11/2015

Etwas sehr Besonderes gab es zum Abschluss des viertägigen Festivals für zeitgenössische Musik „Greatest Hits“ am 21. und 22. November in der Hamburger Kampnagelfabrik: die Tanz- und Klang-Performance „Claude Vivier – Enlightened Child“, eine Zusammenarbeit zwischen dem Bundesjugendballett, der Choreografin Natalia Horecna und dem Ensemble Resonanz. Das Kammerorchester, spezialisiert auf zeitgenössische Musik, sitzt im Halbkreis auf der Bühne, der Tanz findet auf einem breiten Streifen davor statt, manchmal auch im Hintergrund oder unmittelbar rund um den Dirigenten herum (absolut stilsicher und souverän: Jean-Michael Lavoie). Für Natalia Horecna, frühere Solistin beim Hamburg Ballett, danach im Nederlands Dans Theater 1 aktiv und seit einigen Jahren als Choreografin erfolgreich und mehrfach ausgezeichnet („Choreografin des Jahres 2012“, „Beste Nachwuchschoreografin 2014“), war es die dritte Zusammenarbeit mit dem Bundesjugendballett.

Und eine Steigerung schlechthin. So innig, so intensiv und so fein ziseliert und doch auch so gewaltig sieht man Tanz nicht oft. Sie erzählt die Lebensgeschichte des jungen Komponisten, der erst 34-jährig von einem Strichjungen ermordet wurde. Und sie tut das so feinfühlig und mit einer so sprechenden Bewegungsmelodie, dass man noch Stunden und Tage später diese Bilder im Kopf hat. Atmosphärisch ungemein dicht, aber doch mit dem nötigen Abstand vernetzt sie den Tanz mit der Musik, ohne je aufdringlich zu wirken. Es sind Momentaufnahmen eines Suchenden: Die Verlorenheit des Findelkindes Vivier, seine Suche nach dem, was Leben ist und was es ausmacht, seine Verzweiflung, seine Maßlosigkeit, seine Zerstörungswut, aber auch seine heitere Leichtigkeit, seine Bedingungslosigkeit, seine Liebe. „Je intensiver ich mich mit dem Menschen Claude Vivier und seiner Musik beschäftige, umso stärker wird das Bedürfnis, mich ganz nah an seine Unschuld, seinen wunderbaren Humor, sein leichtfüßiges Glück und die freudvolle Trauer zu schmiegen“, so beschreibt sie ihre Arbeit in einer Mitteilung für die Presse.

Und genauso ist es auch: Natalia Horecna gelingt es, die acht TänzerInnen des Bundesjugendballett so zu begeistern, dass sie dem Komponisten geradezu unter die Haut schlüpfen – sie werden er, sie werden zu seinem Alter Ego, jede und jeder auf ihre/seine Art. Mit größtmöglicher Konzentration und Hingabe beleuchten sie alle Aspekte und alle Nuancen seines Charakters. Alle haben sich Horecnas Stil völlig zueigen gemacht – die Bodennähe, den tiefen Schwerpunkt, die rasanten Drehungen, die weit ausgreifenden Arme, die biegsamen Glieder. Einen muss man dennoch hervorheben: Tilman Patzak, der Rotschopf, der Vivier verkörpert, ist dafür eine Art Idealbesetzung. Er wirft sich mit allem, was er hat und wessen er fähig ist, in diese Rolle – das ist tänzerisch ebenso gekonnt wie darstellerisch.

Das Ensemble Resonanz spielt die drei schwierigen Werke Viviers („Wo bist du, Licht?“, „Bouchara“ und „Zipangu“) mit großer Transparenz und Feinheit, immer stilsicher, nie aufdringlich. Wunderbar auch die beiden Sängerinnen Jenny Daviet (Sopran) und Allison Cook (Mezzosopran), die sich nahtlos in das Ganze einfügen. Und so entsteht, sich Stück für Stück immer mehr ineinander verwebend, ein Gesamtkunstwerk, das dem Menschen Claude Vivier ebenso gerecht wird wie dem Künstler. Und das allen, die dieser Sternstunde beiwohnen durften, zeigt: Das erleuchtete Kind steckt in jedem von uns. Wir müssen nur bereit sein, es zu sehen.

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