„Ein Reigen“ von Antony McDonald und Ashley Page. Tanz: Alice Firenze und András Lukács

„Ein Reigen“ von Antony McDonald und Ashley Page. Tanz: Alice Firenze und András Lukács

Wien im Fin de Siècle-Rausch

„Ein Reigen“ von Antony McDonald und Ashley Page

Nach dieser Premiere am Wiener Staatsballett sehnt man sich mehr denn je nach der zauberhaften Diskretion von Schnitzlers literarischem Juwel als Hörspiel.

Wien, 30/04/2014

Mindestens sechs Choreografen ließen sich hinreißen, Arthur Schnitzlers zehn frivol-melancholische Dialoge „Reigen“, die der Wiener Dichter eigentlich nie aufgeführt wissen wollte, auf die Bühne zu bringen - darunter Antony Tudor (1951), Tatjana Gsovsky (1955), Glen Tetley (1987) und nicht zuletzt in Gelsenkirchen Bernd Schindowski in den 1990er Jahren. Das Ballett der Wiener Volksoper tanzte 1988 Susanne Kirnbauers „Arthur Schnitzler und sein 'Reigen'“. Am selben Ort hatte nun Ashley Pages „Ein Reigen“ mit dem jetzigen Wiener Staatsballett, das beide Opernhäuser bedient, Premiere. Ein mutiges Unterfangen des Engländers, der sich mit seinen Choreografien für die beiden jüngsten Neujahrskonzerte der Wiener Philharmoniker ein passendes Entrée an der Donau verschafft hat. Maßgeblich beteiligt am Konzept für dieses zweiaktige Ballett ist sein langjähriger Ausstatter Antony McDonald. Von ihm stammt die Idee, mit einem großen Ensembleballett das Konterfei Wiens im Fin de Siècle-Rausch zu entwerfen. So charmant seine Kostüme und Haartrachten im Stil der 1920er Jahre sind, so imposant die aufwändig dekorierte Bühne ist mit Gemälden von Kokoschka, Schiele und Klimt sowie Stichen von Wiener Sehenswürdigkeiten auf der Drehbühne - die mit „Promis“ der Zeit gespickte Szenenfolge mit „One Night Stands“ wirkt eher peinlich. Da kann auch Béla Fischers anspruchsvolles musikalisches Arrangement von Häppchen aus Werken u.a. von Gustav Mahler, Erich Wolfgang Korngold und Arnold Schönberg, vorbildlich musiziert vom Orchester der Volksoper unter Gerrit Prießnitz, wenig retten.

Oskar Kokoschkas Plakat für sein Drama „Mörder, Hoffnung der Frauen“ ist auf dem Gazevorhang abgebildet. Zu Trauermarsch-ähnlichen Passagen aus Gustav Mahlers 3. Sinfonie tanzt entlang der Rampe Robert Gabdullin als Arthur Schnitzler und wenig dämonischer Tod, dessen Leitmotiv diese Musik werden wird. Auf der Drehbühne defilieren Wiens Sehenswürdigkeiten vorbei, im Hintergrund hängt das Riesenrad zwischen zwei mächtigen gemalten Händen. Wiens Hautevolee flaniert, diskutiert, kokettiert. Man trifft sich in den Salons der schönen Bertha Zuckerkandl (wunderbar charmant: Dagmar Kronberger) und des Literaten Peter Altenberg (schön eitel: András Lukács), leidet und stirbt auf der Couch von Siegmund Freud (Kamil Pavelka) - nicht eben authentisch, sowohl im Fall von Gustav Mahler als auch Egon Schieles. Immer wieder kopuliert man mehr oder weniger lustvoll und spielt sich mit großer Aura auf (Oskar Kokoschka: Kirill Kourlaev). Selten gelingen Duette, in denen sich Schnitzlers meisterlich skizzierte Charaktere zeigen. Allein dank hinreißender Ausstrahlung der Solisten wird die eine oder andere Figur zur Persönlichkeit, allen voran Ketevan Papava als Alma Mahler mit Eno Peci als Gustav Mahler, Mihail Sosnovschi als Egon Schiele mit der wilden, rothaarigen Maria Alati als dessen Modell Wally Neuzil, wohingegen Roman Lazik in papageigelbem Anzug und Nina Poláková in biederem Blau dazu verdammt sind, das Ehepaar Arnold und Mathilde Schönberg völlig verfremdet zu geben, bevor Mathilde von dem Porträtmaler Richard Gerstl(Denys Cherevychko) geradezu vergewaltigt wird, der dafür von Gevatter Tod/Schnitzler mit dem Tod abgestraft wird.

Teilweise kurze Duette wechseln mit großen Ensembleszenen. Aber Personen, Situationen, Bilder und Chiffren wirken gepresst in ein Korsett, das Größen wie Mahler, Zemlinsky, Schönberg, Kokoschka, Schiele, Klimt, Freud oder Schnitzler in keiner Weise gerecht wird. Die streckenweise quälende Länge dieser eher beliebigen Szenenfolge kulminiert in einem opulenten Grand Finale eines Pompe funèbre mit Trauernden (dem bildschönen Corps de ballet) auf Maurice Ravels „La Valse“, das alles nochmals etwas verkürzt wiederholt. Schnitzlers zauberhafte „Reigen“- Diskretion ist dahin. Das Publikum wird Zeuge oft unansehnlicher „Akte“, wo Schnitzler den Vorhang just vor denselben fallen ließ. Mehr denn je sehnt man sich nach dieser Ballettpremiere nach Schnitzlers literarischem Juwel als Hörspiel.
 

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