Formalistische Verzahnung

Keersmaekers „Drumming live“ auf dem Salzburger Domplatz

Salzburg, 11/07/2012

Anne Teresa De Keersmaeker ist Choreografin, Kompaniechefin, Gründerin der Performance Schule P.A.R.T.S und das Aushängeschild der flämischen Tanzszene. Nach Louise Lecavalier die zweite Choreografin, die während der sommerszene zu Gast in Salzburg ist. Keersmaekers Kompanie Rosas präsentierte zusammen mit den Musikern des Ictus-Ensemble am Freitagabend eine einstündige Freiluft-Performance am Salzburger Domplatz. Das Werk „Drumming“, das vor 14 Jahren Premiere feierte, nun vor das Salzburger Publikum zu stellen, mag eine gewagte Entscheidung des scheidenden sommerszene-Intendanten Michael Stolhofer gewesen sein. In großen Kontrast scheinen die barocke Domarchitektur und die minimalistische Tanzperformance zu stehen. Eine formalistische Verzahnung, die auf den ersten Eindruck hakt.

In weißer leichter Sommerkleidung, mit offenen Blusen und Hemden, zelebrieren die 12 Rosas-Tänzer vor der prunkvollen Domfassade ein Bewegungsritual von eindringlicher, innerer Vehemenz. Aus dem Alltag entlehnte Bewegungen wie Rennen, Hüpfen, Fallen, Schleudern und Kippen werden zu einer komplexen Choreografie verdichtet. Ein besonderer Drive ist zu spüren, ein never ending Loop, in den die Tänzer zu verfallen scheinen. Aus solchen Bewegungsschleifen scheinen sie ihre Kraft zu holen, schwingen, pointen und katapultieren sich in die Höhe, in den Sprung, in die Schräglage. Durch Augenkontakt, Zulächeln und Zurufen stachelt sich das Ensemble, das sichtbar Freude daran hat, zu neuen Formationen an, holt die Kompaniemitglieder auf die Spielfläche. Deutlich erkennbar die präzise Partnertechnik, das feinfühlige Abstimmen der Tänzer zu Musik, Zeit und Raum. Keersmaekers ästhetisches Setting ist durch den repetitiven Umgang mit zwar minimalistischem, aber dynamischem Bewegungsrepertoire und durch einen starken expressiven Impetus gekennzeichnet. Das hat Potential, das Publikum kinästhetisch mitzureißen. Dabei wird jeder individuellen tänzerischen Entwicklung Raum gegeben − so wie sich die Farbe Weiß nur aus dem großen Spektrum an bunten Farben generieren kann. Nebenbei entsteht eine Art hypnotisierender Sog, ein synergetischer Effekt aus tänzerischen und akustischen Loops. Denn die neunköpfige Percussion-Gruppe Ictus webt einen körperdurchdringenden, rhythmischen Klangteppich, der sich über den Domplatz ausbreitet. Das Spiel der Bongos, Marimbaphone, Glockenspiele, das Pfeifen, Summen und Singen akzentuiert einerseits einzelne musikalische Phrasen, wird in Reichs Komposition aber auch in polyrhythmischer Überlappung artifiziell aufgeschichtet.

Das warme Bühnenlicht taucht die Jahreszahlen der Domweihen an den Toren und die Klangkörper der Marimbaphone in goldenes Licht, was der Szenerie eine gewisse göttliche Herrlichkeit verleiht. In Kombination mit der organischen Geräuschkulisse mag sich manchem Zuschauer ein neuer architektonischer Zugang öffnen. Choreografischer und akustischer Minimalismus harmonieren doch mit der opulenten Domfassade.

 

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