Man tanzt nur mit dem Herzen gut

Gregor Seyfferts Choreografie „Der kleine Prinz“ als Gala der Staatlichen Ballettschule Berlin im Schillertheater

Berlin, 15/12/2012

Was wäre besser geeignet für den Tanz als eine Reise durch das Universum? Eine Reise von einem Planeten zum anderen, eine Reise, die zur Entdeckungsreise wird, an deren Ende wir wissen könnten, dass wir reisen können so weit wir wollen, dass wir aber niemals ankommen werden, wenn wir nicht entdecken, dass wir das Universum in uns haben, die Sterne, die Sonne und den Mond, die Liebe und die Einsamkeit, das Leben und den Tod, die Rose, den Fuchs und die Wüste, dass wir selbst das Ziel unserer Reise durch das Universum unseres Lebens sind. In dem Buch von Antoine de Saint-Exupéry, „Der kleine Prinz“ mit den poetischen Illustrationen des Autors, geht es um so eine Reise durch das Universum. Der kleine Prinz unternimmt diese Reise, deren phantastischste Situationen doch immer ihre Beziehung zur Wirklichkeit alltäglicher Erfahrungen haben. Viele Orte, Stationen dieser Reise, wie etwa die Wüste, werden als poetische Metaphern benutzt, ebenso die Typen der Menschen und Wesen, die dem reisenden Prinzen begegnen. Dieser kleine Prinz ist wiederum als Kunstfigur so etwas wie ein alter Ego des Berufspiloten Antoine de Saint-Exupéry, der am 31. Juli 1944 von einem Aufklärungsflug nicht mehr zurückkehrte. Absturz? Selbstmord? Abschuss? Der Tod bleibt mysteriös, zumal es der letzte Flug des stark unter Depressionen leidenden Schriftstellers war.

Für einen Choreografen und Tänzer wie Gregor Seyffert, der es vermag wildestes Pochen und feinste Regungen des menschlichen Herzens in Bewegungen zu wandeln ist dies natürlich ein besonderer Stoff für ein poetisches wie emotionales und fantasievolles Tanztheater. Wenn wir das Theater betreten sehen wir historische Filmaufnahmen des Fliegers Antoine de Saint-Exupéry. Der Film endet mit dem Absturz, das Tanztheater beginnt mit dem Erwachen des Piloten in einer Wüstenlandschaft. Die Schlüsselszene für Seyfferts Interpretation ist dann die Geburt des kleinen Prinzen. Die Kunstfigur entsteigt dem Körper des Piloten. Es bleibt unserer Fantasie überlassen, ob wir dabei an die Seele des Sterbenden denken. Für die Dauer des Tanztheaters aber, für die Dauer der Reise seines kleinen Prinzen, wird dieser Flieger leben. Er wird sich erinnern, er wird lieben und leiden, er wird traurig sein und mit dem Prinzen lachen über manch kauzigen Planetenbewohner. Zwei einsame Zeitgenossen treffen aufeinander, sie begleiten einander, so kommt jeder an sein Ziel: Der kleine Prinz findet seinen Planeten, der Pilot kann Abschied nehmen und sterben. Und einer wird immer dann lebendig sein in unseren Fantasien, wenn wir an den anderen denken.

Weil Gregor Seyffert im Bühnenbild von A. Christian Steiof, mit dem Lichtdesign von Silvio Bäßler und vor allem mit den Videoanimationen von Curuba Media aus Dessau so gut wie ohne jeglichen Naturalismus arbeitet, mag man diese Reise durch die Fantasien der Erinnerungen und Visionen auch als so etwas wie jenen Abschiedsfilm im Augenblick des Sterbens sehen können. Neben Musik von Bach, Prokofiev, Satie oder Tiersen verwendet Seyffert immer wieder Stücke von Hugues le Bars, dessen Klangfantasien schon mal weiter als nur in die Nähe des Surrealismus führen. Kein Wunder, dass die tänzerischen Möglichkeiten, Formen und Traditionen die hier angewendet werden auch so etwas wie einen Kosmos dessen darstellen, was die Lebenskraft dieser sich beständig entwickelnden Kunst des poetischen Ausdrucks angeht.

Erstaunlich vor allem wie die jüngsten, die jungen und die jugendlichen Tänzerinnen und Tänzer der Staatlichen Ballettschule Berlin dieser Kreation, die ursprünglich 2005 am Anhaltinischen Theater zur Uraufführung kam, in der neu konzipierten Fassung authentischen Anspruch zu geben vermögen. Mitunter, etwa bei der Ambivalenz einer Schlangenfrau oder bei changierenden Rosengewächsen aus dem Treibhaus der erotisch grundierten Revuen, können die jungen Tänzerinnen und Tänzer mit stark vorhandener Leistung oder mit überschäumendem Humor kompensieren, was ursprünglich „älteren“ Kolleginnen und Kollegen zugedacht gewesen sein mag. Insgesamt aber kann man nur staunen ob der kräftigen Präsenz, mit der die Ballettschülerinnen und Schüler diesen Ansprüchen der Choreografie gewachsen sind: Seien es die neoklassischen Elemente, die Formen des modernen Tanzes, die Ausflüge in die Regionen der Artistik oder der Revue und immer wieder jene Passagen herzhaften Humors in einem dermaßen herzlichen Stück. Eigentlich wäre es gerecht jetzt ungefähr 100 Namen zu nennen, dabei ganze Ausbildungsjahre, die als Reisende, fanatische Forscher, Jäger oder Rosen oder auch in der Szene mit dem König und seiner Ratte ein leicht ironisch verfremdetes Menuett tanzen. Und dann die knappen, aber eindringlichen Soli, ob es der Eitle ist in blitzschneller Verwandlung, der Säufer, der Sternenzähler, der Geograf oder der Laternenanzünder im kafkaesken Wahn. In der Titelpartie begeistert die zierliche, dennoch kraftvolle, vor allem tänzerisch sehr gewandte und wandelbare Katharina Nikelski.

2005 in Dessau war Gregor Seyffert als Antoine de Saint-Exupéry zu erleben. Jetzt tanzt Christopher Carduck den Autor, gewissermaßen als Schüler Seyfferts, dem künstlerischen Leiter der Staatlichen Ballettschule Berlin. Carduck hat in diesem Jahr seine Ausbildung abgeschlossen und tanzt jetzt im Ballett des Theaters in Kiel. Fiel der Tänzer schon während der Gala der Ballettschule im Frühjahr in der Komischen Oper auf mit seiner Begabung, Lyrismen und technischen Anspruch – wie sie bei Fokines „Chopiniana“ unerlässlich sind – als auch Humor mit artistischem Anspruch zu verbinden – wie es der Renner „Troy Game“ von Robert North verlangt –, so kann er jetzt noch eine weitere Facette hinzufügen: nämlich die der Charakterisierung einer menschlichen Situation als Grenzerfahrung im Zusammentreffen emotionaler Wechselbäder der Gefühle.

Gemeinsam mit Chie Kato, auch sie tanzt die Rolle des kleinen Prinzen, wird Christopher Carduck im Rahmen dieser Premiere im Berliner Schillertheater, dem Interimsquartier der Staatsoper, mit dem Nachwuchsförderpreis Darstellender Künste der proskenion Stiftung ausgezeichnet. Es endet alles gut für die Berliner Ballettschule: Das Stück kommt gut an, das Premierenpublikum ist angetan, die Tänzerinnen und Tänzer sind ausgezeichnet und zwei von ihnen werden mit einem Förderpreis geehrt, der mit jeweils 1250,00 Euro dotiert ist. Herzlichen Glückwunsch!

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