Sachsen tanzt

Jubiläumsgala zur Eröffnung der 20. Dresdner Tanzwoche im Kleinen Haus des Staatsschauspiels

Dresden, 26/04/2011

Die Dresdner Tanzwoche feiert ihren 20. Geburtstag. Kurz vorm Ende der Adoleszenz ist an Aufhören noch längst nicht zu denken. Warum auch? Die Tanzwoche ist eine Erfolgsgeschichte. 1992 gegründet, hat sie sich zur festen Größe der sächsischen Tanzlandschaft entwickelt und wird weit über die Landesgrenzen hinaus wahrgenommen. Zur vierstündigen Eröffnungsgala waren am Mittwoch fast alle sächsischen Tanztheater und Ballettensembles gekommen, auch die freie Szene und Gäste aus Schwerin, Dessau, Berlin und Prag gastierten im rappelvollen Kleinen Haus des Staatsschauspiel Dresden. Die Tanzwoche macht mit der bombastischen Veranstaltung (mehr als 70 Tänzerinnen und Tänzer waren auf der Bühne) ihrem Ruf als Schaufenster des sächsischen Tanzes alle Ehre. Freilich gab es unter den Darbietungen Hochs und Tiefs, wie bei jeder Geburtstagsfeier Gäste kommen, die einen Abend schmeißen und welche, die eben einfach da sind.

Der Dresdner Tänzer Udo Zickwolf, dessen androgyne, fast asiatische Körperlichkeit beeindruckt, tanzte bereits beim Einlass seine alljährliche Performance. Zum letzten Mal übrigens, wie Tanzwoche-Begründer Skowronek verkündete. Nach warmen Worten von Christoph Dittrich (Deutscher Bühnenverein) und dem Kulturbeigeordneten Ralf Lunau, der stellvertretend für die erkrankte Oberbürgermeisterin Orosz kam und im letzten Moment auch noch ihre Grüße überbrachte (Dittrich hatte vorher schon vom „Fauxpas des deux“ gesprochen), hatte das gesprochene Wort erst einmal Pause – das Programm konnte beginnen.

Den Anfang machte das überaus smarte Tanztheater Görlitz. Mit der tangoesken, lebensfrohen Szene gab die zum Saisonende scheidende Leiterin Gundula Peuthert ihren Abschied. Danach zeigte Mario Schröder, neuer Ballettchef der Oper Leipzig und zum ersten Mal auf der Tanzwoche, Ausschnitte aus „Pour un clin d’œil“. Kraftvoll und technisch am oberen Limit präsentieren sich die statuenschönen Tänzer der Leipziger Kompanie. Schröder findet die richtige Mischung aus Pop und Avantgarde, aus klassischer Bewegung und ihrer gestischen Brechung.

Unter den nicht-sächsischen Gästen ragte das Schweriner Ballett heraus. Ein berührendes Duo des Choreografen Paul Julius reflektiert die höchst diffizile Verbindung von Emotion und Routine, bei der Davina Kramer durch ihr nuancenreiches, ausdrucksstarkes Spiel überzeugt. Nach der Pause enterten die Studenten der Palucca-Schule lautstark die Bühne. Die aufreizende Choreografie spielt mit verschiedensten Stilen und Assoziationen, die ganz präzise choreografiert sind. Durch mitreißende Body Percussion, Kosakentänze und Science-Fiction-Anleihen beeindruckt die kommende Tänzergeneration. Dies war heilsam, da die Gala trotz der schieren Masse an Darbietungen bewegungssprachlich gelegentlich einseitig geriet – zu wenig Genrewechsel und Stilüberschreitungen, die ja die sächsische Szene auch ausmachen.

Da war es gut, dass die Organisatoren einige freie Truppen eingeladen hatten, die Carrot Dancers aus Dresden zum Beispiel. Nicole Meier tanzt ihr Solo vor filmischen Detailaufnahmen von nackten Körpern. Spannend, wie dabei Körper zu Gebirgen, Bewegungen zu tektonischen Verschiebungen werden und der Film die Wahrnehmung des realen Körpers irritiert. Auch die Wee Dance Company aus Berlin gab sich die Ehre. Dan Pelleg und Marko E. Weigert, die zur neuen Spielzeit das Tanztheater Görlitz übernehmen, kämpfen tänzerisch eloquent und gewitzt mit riesigen Boxen – irgendwo zwischen Slapstick, Artistik und Folklore. Eine Performance der besonderen Art zeigten Heike Hennig & Co. aus Leipzig, mit einer Szene aus ihrem aktuellen Stück „Maria XXX“. Ein die ganze Bühne bedeckendes Tuch dient Etoile Chaville als überdimensionales Gewand. Mit fragilen Bewegungen verhüllt sie sich, beginnt zu zittern, zu lachen, zu schreien und schließlich zu singen.

Die Auftritte der freien Szene waren ein wichtiger Kontrast zu den klassischen Nummern. Das Pas de deux des Semperoper-Balletts aus Balanchines neoklassischem Stück „Diamanten“ war abstrakter Tanz mit höchstem Anspruch. Eine Schule des Sehens für den ungeübten Betrachter, aber akademisch und distanziert, ganz aufs Visuelle ausgerichtet. Immer bleibt die vierte Wand der großen Bühne, der große historische Rucksack – der emotionale, somatische Funke will nicht überspringen. Oder wie ist es zu erklären, dass die auf geringerem Niveau agierenden Breakdancer der Beat Fanatics oder Performer des Jolly Jumps Theatre Prag Szenenapplaus und Zugabe-Rufe ernten? Die von Boris Michael Gruhl stets souverän moderierte Gala war perfekt inszeniert. Aber bei so viel Glätte fehlt einfach die Reibungsfläche. Viele Darbietungen waren zu vorhersehbar und geschlossen, um etwas auszulösen. Man hatte, bei aller Fülle, nicht immer das Gefühl, dass Tanz eine Kunst in Bewegung und Aufbruch ist. Zumal wenn in Szenen der Landesbühne Sachsen („Symphonie“) oder des Balletts Plauen-Zwickau („Drei Welten“) die Repräsentationskeule ausgepackt wird. Im Rahmen einer Gala – die zum 20. Geburtstag auch retrospektiv agiert – ist dies allerdings zu verzeihen, da die Abwechslung entschädigte und es für jeden Besucher des gemischten Publikums Anknüpfungspunkte gab.

Erst recht, wenn das Ballett der Theater Chemnitz seine gesamte Männerabteilung schickt und für Stimmung sorgt. In dem Auszug aus „Rembetika“ brachten vor allem die humorvollen stilistischen Anlehnungen an Sirtaki lebendigen Ausdruck und mediterranen Schwung. Auch das Finale war den glorreichen Sieben aus Chemnitz überlassen. Zur Musik von Freddie Mercury wurde das Publikum mit einer pulsierenden, locker-leichten Musical-Nummer, die sich für keinen Stereotyp zu schade war, in den lauen Sommerabend entlassen. Dass aber weniger manchmal doch mehr ist, bewiesen zuvor die prominenten Überraschungsgäste Jiří und Otto Bubeníček mit der atemberaubenden Choreografie „Les indomptés“. Die Zwillingsbrüder sind auf dem Zenit ihres künstlerischen Vermögens und zeigen ein vor Kraft und Schönheit strotzendes Duo, das stark berührt. Etwa wenn die harten, abgehackten Bewegungen in weiche Schwingungen münden und die Körper wie Steine auf den Grund der Bühne sinken. Ein großer Moment von Perfektion und Tiefe und gerade deshalb voll wahrhaftem Humor.

Die Tanzwoche Dresden hat diesmal mit der Gala erst begonnen. Über 50 Veranstaltungen finden statt: Neben verschiedenen Tanz-Premieren, Aktionen im öffentlichen Raum auch die Ausstellung „T®ANZaktion“ des Fotografen Lutz Lippmann und ein Tanzfilmprogramm. Dresden ist bis zum Welttag des Tanzes am 29. April Tanzhauptstadt. Das Festival knallt mitten in die Kürzungsdebatten und wer nach diesem prallen Eröffnungsabend noch an Berechtigung und Status der Kunstform Tanz zweifelt, hatte die Augen geschlossen. Das beste Argument gegen die strukturelle Diskriminierung von Tanz ist nun mal – Tanz.

Weitere Informationen und Programm unter www.tanzwoche.de

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