Hier tanzt der Spatz von Paris

Mauro Bigonzettis „La Piaf“

Hannover, 17/05/2011

Sie ist ein Star, und das gleich in doppelter Beziehung: Als Sängerin sowieso und als ein Stern, der 1982 nach seiner Entdeckung „3772 Piaf“ benannt wurde. Mauro Bigonzetti gefällt der Gedanke, dass Edith Piaf „ihren Körper verlassen hat und auf ewig in diesem Asteroiden über uns ist“, und der Erfolgschoreograf aus Italien inszeniert seine Balletturaufführung so, als wäre „La Môme Piaf“ eine Seelenverwandte jenes „Petit prince“, den Antoine de Saint-Exupéry in seinem Buch unsterblich gemacht hat. „La petite princesse“, wenn man so will.

Das kleine Mädchen, das seine Mutter mit verbundenen Augen auf die nachtschwarze Bühne der Staatsoper Hannover führt, könnte jedenfalls die Künstlerin sein, der Bigonzetti in „La Piaf“ ein choreografisches Denkmal setzt. „Après un rêve“ heißt jedenfalls das eröffnende Musikstück von Gabriel Fauré, und die „Infante défunte“ Maurice Ravels erlebt in den folgenden anderthalb Stunden am eigenen Leib und in vielfachen Verwandlungen „La vie en rose“, kaum dass besagte Blume vom Himmel gefallen ist.

Das gleichnamige Chanson erklingt nur andeutungsweise auf einem Puppenklavier, das sie ebenso wie der kindliche Bär ein Leben lang begleiten soll. Auch „Je ne regrette rien“ ist an dem Abend nicht zu hören. Nicht „Milord“. Dafür ertönen so bezeichnende Songs wie „Bravo pour le clown“, „Hymne à l’amour“, „Padam... Padam“ oder „A Merry Go Round“. Der Erste Choreograf des Aterballetto hat sie eingebettet in eine orchestrale Collage, die sich aus Kompositionen von Fauré, Massenet, Milhaud, Poulenc, Ravel und Satie zusammen setzt. Schließlich gilt es, den ganzen Kosmos aufzuzeigen, dem die Piaf entstammt.

Dazu gehört der Clown, den Loris Zambon mimt. Dazu der Boxer, in den sie sich verliebt. Weit davon entfernt, ihre Biografie einfach zu bebildern, macht Bigonzetti in „La Piaf“ durchaus ihre Amouren und Exzesse, ihre Glücksmomente und die Augenblicke der Verzweiflung durchaus spürbar. Auch ihre Alkoholprobleme spart er nicht aus. Das Publikum sowieso nicht, das gleich zu Anfang etwas Auflauerndes hat, sich zwischendurch aber immer wieder in anekdotischen Genreszenen aufzulösen scheint. Aber er wird dabei nie auf eine banale Weise konkret, sondern findet für ihre Ambivalenz den passenden Ausdruck: zwölffach verkörpert, trägt jede der einzelnen Tänzerinnen ihren Teil bei zum Mosaik einer mitreißenden Persönlichkeit, die in ihrer Gänze nicht zu erfassen ist.

Am Ende eines ebenso abwechslungsreichen wie amüsant choreografierten Abends regnet es rote Rosenblätter, und in einer langen Diagonale à la Bausch nimmt das Ensemble am Katafalk Abschied von einer Künstlerin, für die das Wort „kleiner Spatz“ nur bedingt seine Berechtigung hat. Von den Zuschauern bejubelt, erscheint das Ballett zuletzt wie „beflügelt“ und lässt „La Piaf“ auf seine Weise hochleben.

www.staatstheater-hannover.de

 

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