Eine etwas andere Art von Energieerneuerung

„Orlando“ im Rahmen der Festwochen 50 Jahre Stuttgarter Ballett

oe
Stuttgart, 09/02/2011

Man sollte Bundesminister Norbert Röttgen den Besuch einer Stuttgarter Ballettvorstellung verordnen! Denn dort könnte er eine etwas andere Art der Energieerneuerung studieren. Wie etwa an diesem Abend bei der Wiederaufnahme von Marco Goeckes „Orlando“ (übrigens die einzige Aufführung der laufenden Spielzeit: welch eine Verschwendung der Proben-Ressourcen!).

Sie stand unter einer atemberaubend eskalierenden tänzerischen Hochspannung; vom ersten Erwachen Orlandos und Umkreisen des Eichbaums über die königliche Laufkür mit der jungfräulichen Elizabeth I, über die Kuss-Kür mit der Prinzessin Sascha und die sich überstürzenden Ereignisse und Begegnungen der Suche nach sich selbst in drei Jahrhunderten und diversen Erdteilen bis zu jenem Donnerstag, dem 11. Oktober 1928, der Apotheose von Philip Glassens Symphony Nr.4, mit der Wolfgang Heinz und seine musikalischen Streitscharen ihrem Parcours durch das Oeuvre von Michael Tippett die Krone aufsetzten. Es war das bacchantische Finale, in dem Friedemann Vogel seine Ankunft im „Moment der Gegenwart“ austanzte, ein Dithyrambus des jugendlichen Überschwangs.

Welch eine grandiose Vorstellung als Projektion der geballten Energie, die die Potenz der Kompanie in diesen Tagen ausstrahlt – in einem Ballett, wie man es derzeit nirgends sonst in der Welt sehen kann. Wobei man feststellte, dass es bei jeder neuen Begegnung immer neue Rätsel aufgibt (für einige Besucher offenbar zu viele, so dass sie in der Pause das Weite suchten – oder war es der Fußball-Krimi, der sie an diesem Abend vor den Fernsehschirm lockte?). Das Stuttgarter Ballett mit seiner Solisten-Equipe, inklusive Alicia Amatriain, Katja Wünsche, Sébastien Galtier, Damiano Pettenella, Douglas Lee und Matteo Crockard-Villa in Topform samt ihren Kollegen, die sonst Hauptrollen tanzen, in kleineren Partien und dem Corps de ballet als Dynamo, am ganzen Körper zitternd vor kompakter Hochspannung. Und aus dem Schnürboden ein lächelnder John Cranko, voller Genugtuung über seine Kompanie, achtunddreißig Jahre, nachdem er sich von ihr verabschiedet hatte.

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