Zwischen Pathos und Pep

Zwei frühe Ballette von Roland Petit mit Pariser Stars bei Arthaus

Berlin, 22/11/2010

Rauchend liegt in „Le Jeune homme et la mort“ der junge Mann auf zerwühltem Metallbett in der Ecke eines abgeschabten Mansardenzimmers. Mit Akrobatik über Tisch und Stuhl drückt sich seine Nervosität aus. Endlich kommt durch die Tür, wen er erwartet: ein rotäugiger, gelbgewandeter Vamp zwischen Lolita und Lulu und mit schwarzer Schüttelfrisur. Der Künstler, eine hängende Palette kennzeichnet ihn als Maler, schmiegt sich ihr in heißem Begehren an; sie, kalt wie Eis, weiß ihn anzustacheln und kurz vorm Aufschäumen fortzustoßen. Zu immer furioseren Sprungkombinationen reißt es den jungen Mann; seiner Sache ist das wenig dienlich. Als er willig in der Hand der Frau ist, weist sie ihm per Fingerzeig den Weg: zum Strick, den sie am Gebälk hinterm Eisenöfchen installiert hat. Und entschwindet augenblicks. Da eh alles vergebens ist, befolgt der Junge den Befehl und verzittert in der Schlinge sein Leben. Dem Untoten erscheint im schicken langen Weißen die Begehrte, ihre Totenmaske stülpt sie ihm aufs Gesicht, schickt ihn ins Leben. Hinter der sich hebenden Mansardendeko leuchtet die Silhouette von Paris; übers Dach führt sein Pfad – kurz vor dem Absturz, gleich neben dem Eiffelturm, darf der Mann innehalten.

Zwei junge Künstler katapultierte der Erfolg dieses 16-Minuten-Balletts nach der Pariser Premiere 1946 ins Licht der Öffentlichkeit: Roland Petit, gerade 22, als Choreograf und sein nur ein Jahr älteres Sprungwunder Jean Babilée als jungen Mann. Als expressiv wurde die Bewegungssprache damals rechtens empfunden, und dass Babilée im Jeansoverall tanzte, war schlicht revolutionär. Große besorgten das Umfeld: Georges Wakhevitch die Bühne, Karinska die Kostüme, das Libretto Jean Cocteau, dessen Zeichnungen auch die Mansarde zieren; Ottorino Resphigis Orchestrierung einer Bach-Passacaglia federte trampolinhaft leicht Babilées Sprünge ab. Nicht nur als historische Reminiszenz hat Wert, was Arthaus Musik nun in einer Aufnahme von 2005 vorlegt: die Neueinstudierung des existenzialistisch getönten Duos mit Nicolas Le Riche und Marie-Agnès Gillot. Angehängt hat die Firma ein zweites Signaturwerk von Roland Petit.

Neben Alberto Alonsos „Carmen-Suite“ in Moskau 18 Jahre später und für Maja Plissezkaja im Titelpart gilt die Version des auch hier auf Chic abonnierten Franzosen als erfolgreichste Adaption der Merimée-Novelle. In London ging sie 1949 erstmals über die Bühne: beim Gastspiel von Petits Ballets de Paris, mit ihm und seiner Frau Zizi Jeanmaire in den Hauptrollen. Auch hier gibt Bizets Opernpartitur die Vorlage für das Arrangement. Petit gliedert es über 43 Minuten in fünf verschiedene Schauplätze, die Antoni Clavés Ausstattung, showhaft hauptsächlich in den Kostümen, geschickt skizziert. Zentrum der rasanten, zwischen Ballett, Revue und Folklore changierenden Choreografie ist der Liebes-Pas-de-deux des Paares: Mit dem Schulterstand Carmens auf Josés liegendem Leib endet er erotisch eindeutig. Sex fehlt, durchaus richtig, auch in anderen Szenen nicht. Wie die einst Liebenden im Tod verzappeln, wirkt heute eher lächerlich. Nicolas Le Riche, hier Partner von Clairemarie Osta als Dritter im Bund der brillanten étoiles, kann ein weiteres Mal sein außergewöhnliches Format als Darsteller sensibel geborstener Charaktere beweisen. Dass er technisch-stilistisch comme il faut tanzt, eilt ihm als Ruf voraus. Bis in die letzte Rolle ist der Einakter vorzüglich besetzt. Und bei der perfekten Kameraführung hat man eh den Eindruck, in der ersten Reihe der Pariser Oper zu sitzen. Un grand Bravo!

Roland Petit: „Le Jeune homme et la mort“ & „Carmen“, Ballet de l’Opéra national de Paris, ArtHaus Musik 2010, 92 Minuten

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