Das Runde muss ins Eckige

Stephan Thoss mit „Sacre“ und „Solitaire“ zu Gast im Theater Heilbronn

Heilbronn, 11/06/2010

Ovationen für die 23 Tänzerinnen und Tänzer des Hessischen Staatstheaters, die mit „Solitaire“ und „Le Sacre du Printemps“ zu Gast sind im Großen Haus des Theaters Heilbronn. Jubel auch für den Wiesbadener Tanzchef, Stephan „Vokuhila“ Thoss, der, Fußballprofis nicht unähnlich, auf’s Tempo drückt, alles aus seiner Truppe holt und sie unter Hochspannung bis an die Grenze des Tanzbaren treibt.

„Solitaire“, zu Béla Bartóks „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“, skizziert ein surreales Tableau: Umgeben von Egomanen mit der Leere des Daseins konfrontiert und auf der Suche nach einem neuen Lebensentwurf rennt eine Frau gegen die Wand. Während auf dem schneeweißen Sommerkleid himmelblaue Schmetterlinge flattern, schließen sich Türen, durch die eben noch ein Hoffnungsschimmer fiel. Die Decke senkt sich, scheint die Protagonistin zu erdrücken. Angst und Enge erinnern in ihrer Ausweglosigkeit an Hitchcock. Kein Tapetenwechsel nirgends.

Zu Bartóks Klangwerk, das mit Extremen und Kontrasten, mit Echo und Kanon spielt - bereits nach der Uraufführung 1937 als „Höhepunkt seines Schaffens“ bewertet -, entwickelt der Choreograf eine faszinierende Klang-Raum-Konzeption: wie in einer Möbiusschleife greifen Innenraum und Außenwelt, Musik und Bewegung unmerklich ineinander.

Thoss war schon als Palucca-Schüler und Tänzer ein Sprungteufel. Noch immer voll Energie und Sprengkraft verpasst der 45-Jährige dem akademischen Tanz die nötige Würze, befeuert kontrollierte Schrittfolgen, rhythmische Präzisionstechnik und apollinische Wohlgestalt mit dionysischem Pfeffer. Igor Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ ist für Thoss eine exquisite Steilvorlage. Er holt sich den Ball, umtrippelt geschickt die thematische Vorgabe des heidnischen Frühlingsopfers, verwandelt die dicht gedrängten, kantig verschachtelten Klangmuster (die bei der Uraufführung 1913 einen Skandal auslösten) in ein symphonisches Ballett.

Futuristische Anklänge, Hommage an expressionistische Filme à la Fritz Langs Metropolis, Faszinosum Maschine und Wunderwerk Mensch, eine schweißtreibende Apotheose des Tanzes. Hier stehe ich und kann nicht anders! Am Ende halten die Tänzer mit offenen Armen dem Publikum zugewandt inne. Wie auf Leonardo da Vincis berühmter Skizze: „Der vitruvianische Mensch“, besinnt sich das Ensemble auf eine oft zitierte, in Fußballzeiten fast vergessene Art, das Runde ins Eckige zu bringen. Käme die Musik nicht aus der Dose, wäre es ein grandioses Tanz- und Musikerlebnis.

Info: Weitere Vorstellungen am Theater Heilbronn, Berliner Platz am 12., 29. und 30. Juni, jeweils um 19.30 Uhr.

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