Rhythm is it

Neue Werke von Dominique Dumais, Kevin O’Day und Brian McNeal

Mannheim, 08/11/2010

Mannheim ist fest in amerikanischer Hand, jedenfalls tanztechnisch. Der neue dreiteilige Abend beim Kevin O’Day Ballett am Nationaltheater propagiert durchweg einen stark rhythmusgeprägten Tanz, dem weniger der intellektuelle Anspruch als die ständige Bewegung wichtig ist. Getanzt wird auf flacher Sohle, alle drei Stücke zu stark perkussiver Live-Musik.

„Karussell“ von Dominique Dumais beginnt mit einem fast Sartre’schen Anfangsbild: alle acht Tänzer sitzen auf einsamen Stühlen, beleuchtet jeweils nur von einem dünnen Lichtstrahl aus der Höhe. Die düstere Stimmung weicht bald einem locker-schwingenden, nur wenig von Ballett durchsetzten Modern Dance, so intensiv an Bewegung wie leer an Bedeutung. Getanzt wird barfuß, die Männer tragen schwarze Anzüge über bunten T-Shirts, die Frauen das kleine Schwarze wie zum schicken Cocktail. Das Musikerduo Erwin Ditzner und Lömsch Lehmann setzt ein einsames Saxofon gegen schwere Schlagzeug-Schläge, legt Rauschen über das kühle Herzklopfen einer Trommel und spielt auch mal Gelächter oder Kirchenglocken elektronisch ein.

Zwanglos entstehen lockere Strukturen in der Choreografie, ein versetzt weitergegebener Rhythmus zerteilt die zunächst völlig homogene Gruppe in kleinere Ordnungen, bevor sie ganz in Solos und einsame oder parallel getanzte Duos zerfällt. Vieles findet auf dem Boden statt, gegen Ende schält sich das Solo einer einsamen, tastenden Frau (die ausdrucksvolle Zoulfia Choniiazowa) heraus, ein Mann stützt sie und hilft ihr. Irgendwann stehen alle auf ihren Stühlen und immer wieder darf in der Mitte einer mit weit ausholenden Bewegungen zeigen, was er kann. Der entspannte, freundlich-laszive Tanz gibt sich mit sich selbst zufrieden. Das titelgebende Karussell (Dumais hat da einfach den Namen des Musikstücks übernommen) kommt nur selten in den Sinn, etwa wenn alle im Kreis laufen oder wenn leise Spieldosenmusik hineinklingt.

Ballettchef Kevin O’Day pflegt in „Face to Face“ einen ähnlich locker schwingenden Tanzstil, den aber wie eine Erinnerung an das dekonstruierte Ballett der 80er Jahre rasante Drehungen, messerscharf gestreckte Beine oder weit hingeworfene Jetés durchziehen. Das halbstündige Werk wurde im Juli im kanadischen Banff uraufgeführt, zu eingespielten elektronischen Rhythmen lässt O’Days Lieblingskomponist John King im Musikstück „3 modes à la π“ eine E-Gitarre live wummern. Sein Soundtrack klingt in diesem Fall einmal weniger nach klirrender Moderne und dafür stärker nach Jazz und Blues, vielleicht wirkt O’Days Musikalität deshalb verwischter, nicht mehr so knackig wie einst.

Scharfkantige Elemente liegen wie verstreute Hügel auf dem Boden, die Protagonisten verstecken sich dahinter oder hängen an den kleinen Schrägen fest. Auch in diesem Stück geht der Tanz oft zu Boden, immer wieder überreizen die Paare extreme Balancen bis zum Kippen oder Umfallen. Jedes der drei Paare bekommt sein großes Duo, auch im Strukturenfinden erweist sich der amerikanische Choreograf raffinierter als seine kanadische Kollegin Dumais; so kehren anfangs die fünf Hinausgegangenen immer wieder als groteske Formation oder dicht hintereinander gehende Schlange zurück, um einen Solisten aufzusammeln und einen anderen auf der Bühne zu lassen.

Brian McNeal ist ein kühl-geheimnisvoller, äußerst eleganter Tänzer der Mannheimer Kompanie, deshalb verwundert es umso mehr, wie verhuscht und verwischt nun „Dis-Ex“ aussieht, das erste Auftragswerk des gebürtigen New Yorkers fürs Nationaltheater. Unter anfangs trüben, später hellen Neonröhren absolvieren neun Tänzer in auserlesen nebensächlichen Schlabbertrikots eine Mischung aus Aufwärmübung, Kontakt-Impro und schummrig beleuchtetem Tanztheater, in der viel zu viel gelaufen wird – hinein, hinaus, im Kreis oder einfach so. Dem Choreografen geht es um die Verwandlung von Energie, aber immer wieder ertappt man sich, dass man lieber den drei Live-Musikern an ihrer riesigen Batterie von Percussioninstrumenten zusieht, wie unglaublich virtuos sie zwei Klöppel in jeder Hand auf ihren Marimbaphonen tanzen lassen.

Den faszinierenden Rhythmen von Michael Kiedaisch und Avner Dorman, dem warm glühenden Klang der Holzxylophone setzt McNeal einen seltsam trockenen, nüchternen Tanz entgegen, der immer wieder in pseudointellektuelles Rennen und Joggen mündet. Das fesselt einzig dann, wenn der wilde Rhythmus von einem Körper Besitz ergreift. Der Jubel im voll besetzten Mannheimer Schauspielhaus war groß, für die Choreografen genauso wie für Tänzer und vor allem die Musiker aller drei Stücke.

www.nationaltheater.de
 

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