Shakespeare, Pärt, Wang – und ein bisschen Winnenden

„h.a.m.l.e.t.“ ist Xin Peng Wangs bisher bestes Ballett

Dortmund, 07/11/2010

Vorweg: mit „h.a.m.l.e.t.“ hat Xin Peng Wang sein bislang bestes Ballett kreiert. Dabei war die Skepsis im Vorfeld groß. Wieso diese unsäglich manierierte Schreibweise für Shakespeares großen Zauderer? Wozu der reißerische Bezug zu dem tragischen Amoklauf von Winnenden? Was soll schon wieder die Reduzierung auf einen einzigen Aspekt? Hatte Wang „Romeo und Julia“ mit dem Untertitel „Die Geburt der Sehnsucht“ versehen, so bedenkt er Hamlet mit dem Zusatz „Die Geburt des Zorns“. Mag selbst die „Handlung“ im Programmheft gespreizt und kompliziert klingen – im Dortmunder Opernhaus wird großes Ballett aus Shakespeares Tragödie, ein opulentes Fest für Auge und Ohr. Idee, Konzept und Szenario stammen wie gewohnt von Christian Baier, die Musik von Arvo Pärt. Mit Zustimmung des Komponisten ist aus einem sensiblen Arrangement kammermusikalischer und sinfonischer Werke eine veritable, abendfüllende Ballettmusik entstanden. Das Klavierstück „Für Alina“ charakterisiert die Hamlet umgebenden „Geister“, wird aber auch – mehrfach wiederholt und ergänzt durch sehr zarte Klavier-Variationen – zu einer Art Leitmotiv für Ophelia. Die festlich-barocken Fanfaren von „Arbos“ für Bläser, Pauken und Schlagwerk, ebenfalls dreimal gespielt, werden zum Erkennungsmotiv für den Zorn Hamlets auf die verlogenen höfischen Rituale. „Collage sur Bach“ mit den elegischen Oboen-Klängen unterstreichen das Archaische des Dramas, schrille Dissonanzen schlagen die Brücke zum Heute.

Die Kraft der Musik reicht weit über die hervorragende, konzertreife Interpretation durch das Philharmonische Orchester und vier Solisten unter dem japanischen Kapellmeister Motonori Kobayashi hinaus. Sie bildet – gemeinsam mit der schwebenden Bühnendekoration von Frank Fellmann, den eleganten Kostümen von Alexandra Schiess und dem fulminanten Lichtdesign von Leo Cheung - das atmosphärische Rückgrat der Choreografie – ja, sie inspiriert Wang mit seiner Kompanie zu bisher nie gesehener geschmeidiger, harmonischer und doch stimmig bizarrer Körpersprache. Große Auftritte gönnt Wang dem geschlossen agierenden Corps de ballet. Hoheitsvoll tanzen Monica Fotescu-Uta und Howard Lopez Quintero das verbrecherische Königspaar, das sich in einer berauschend schönen Liebesszene leidenschaftlich-lasziv im glutroten Ehebett liebt. Jelena-Ana Stupar – zierlich, zart und ausdrucksstark – entwickelt sich zum neuen Star der Kompanie. Als Ophelia tanzte sie sich in der zwölf-minütigen (gestisch fast zu zurückhaltenden) Wahnsinnsszene vollends in die Herzen des Publikums, nachdem sie mit dem wunderbar zögerlich melancholischen, in keiner Phase zornigen Mark Radjapov zuvor schon im großen Pas de deux auf Pärts wohlbekannte „Tabula rasa“ schon Szenenapplaus geerntet hatte.

Ein Zauderer und Zweifler bleibt dieser Hamlet also. Die sechs Buchstaben seines Namens übrigens bedeuten die Anfangsbuchstaben für das, was ihm am wichtigsten ist: honesty, agony, mother, love, eternity, truth. Und Winnenden? Wang erklärt die Idee so: “Hamlet und Winnenden – in beiden Fällen eskalieren jahrelang verdrängte Konflikte... Wozu ist ein Mensch fähig, wenn er sich allein fühlt?“ Nun gut. Aber nicht zwingend. Nicht nötig. Glücklicherweise auch nicht konsequent, nicht wirklich irritierend mit der Hamlet-Handlung verquickt. Bühnenbildner Fellmann zollt dem Aspekt eher dezent Tribut: das rätselhafte Polyeder von Albrecht Dürers „Melancholia“ – im Programmheft abgebildet – schwebt immer wieder vom Bühnenhimmel, oft zerlegt in seine einzelnen Flächen. Zwischendurch und am Schluss, als Hamlet die Krone (in Polyederform) aus den Händen gleitet, ist der Todesschütze von Winnenden darauf (anscheinend) in seiner eigenen Blutlache zu sehen. Ein leises Ende – „der Rest ist Schweigen“. Aber nach betroffener Stille applaudierte das Publikum bei der Premiere langanhaltend und mit Ovationen für Radjapov und Stupar, vor allem für Xin Peng Wang.

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