Fünf Jahre „TanzZeit – Zeit für Tanz in Schulen“

Tanz-Klassen und heiße Rhythmen

Berlin, 12/06/2010

Der fünfte Geburtstag der Initiative „TanzZeit“ wird an diesem Wochenende im Radialsystem groß gefeiert! Die Schirmherrschaft von Sasha Waltz und dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit unterstreicht die Wertschätzung dieser auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit breit angelegten künstlerischen Arbeit. 88 Berliner Schulen aller Bezirke mit über 9100 Kindern aller Schichten tanzten bisher unter Anleitung von 90 Künstlern.Staatssekretärin Claudia Zinke würdigte „TanzZeit“ als herausragendes Projekt der kulturellen Bildung im Rahmen der Berliner Schule, das seit Januar 2010 Regelförderung (!) erhält. Erneut haben in diesem Schuljahr über 600 Schülerinnen und Schüler aller Altersstufen an diversen Schultypen  - zusammen mit 30 professionellen Tänzer-Choreografen und unterstützt von ihren Lehrern - Tanzstücke als implementierter Teil des Unterrichts entwickelt, die sie an diesem Wochenende unter professionellen Bühnenbedingungen zeigen.

Bei ‚afrikanischen‘ Temperaturen begeisterten zum Auftakt fünf Klassen, die seit Jahren kontinuierlich und erfolgreich zusammentanzen mit neuen Tanzstücken zu Live-Musik! Die wechselnden Rhythmen von Percussionist Nico Lippolis elektrisierten 22 Kinder der Comenius-Schule Wilmersdorf, die in ‚Light beats‘ (Choreografie: Francesca Patrone, Ilka Rothenhäusler) geheimnisvoll durch das Spiel mit Taschenlampen in wunderbar wechselnden Bewegungsqualitäten bis zu stimmlichen Lautmalereien mit dem Körper und dem Musiker in Dialog traten bis am Schluss 22 Fusspaare wie Blumenstengel im halbschattigen Raum tanzten. Der Spaß an ihrem „Rondo alla Teltow“ war auch der Klasse 6b der Grundschule am Teltowkanal (Neukölln) anzumerken, das nach viel Bewegung in Ruhe endet – zwei Jungen liegen ausgestreckt auf dem Boden und lauschen der sanften Melodie des Gitarristen. Um Energie und Kontemplation kreist auch „Drehendurchdrehen“ der Klasse 6a der Regenbogen-Grundschule Neukölln. Einzelgänger und Paare, die einander vollquatschen, Gruppen, die aneinander vorbeirennen und doch miteinander singen, summen und mit skurrilen Tönen die Gemeinschaft suchen, zeigte die Klasse 9b der Adolf-Reichweinschule Neukölln in „8sam/Der Wellenbrecher“. Die Kooperation mit Musik-Partnern hat voll überzeugt. Nicht zuletzt in „Wir – Du – Ich“ der Klasse 6a der Grundschule am Eichenwald Spandau, die gemeinsam mit den Kids on Drums Akademie/Kreuzberg auftraten.

Talentierte Schüler können sich seit 2008 in der TanzZeit-Jugendcompany weiterentwickeln. In der Choreografie und Inszenierung von Livia Patrizi und Fernando Bilbao entstand die UA „Brief an LF“ als Tanztheater über rebellierende Jugendliche, die mit dem Wissen um Vergangenes ihren Platz in der heutigen Welt suchen. Am Eröffnungsabend war ein spannender Ausschnitt als Voraufführung zu erleben.
Neben einem Rückblick auf das Erreichte in Sachen „Kulturelle Bildung“ diskutierte eine kompetente Expertenrunde am Eröffnungsabend „Chancen und (Un)-Möglichkeiten ihrer Umsetzung“. Wir brauchen den Tanz als unverzichtbares Bildungs- und Kulturgut. So einfach ist das und doch so kompliziert, konstatierte TanzZeit-Initiatorin Livia Patrizi. Für den Abbau von Berührungsängsten zwischen Schule und Kunst durch positive Erfahrungen mit Künstlern, plädierte Kirsten Scherwitz (Mercator Stiftung). Lehrer wie Künstler brauchen die gegenseitige Qualifizierung durch Teilhabe. Kulturelle Bildung ist Teil der Allgemeinbildung. Dr. Gerd Taube (Kinder- und Jugendtheaterzentrum der Bundesrepublik) richtete sein Augenmerk auf die augenblickliche Wirkung auf das Leben von Kindern und Jugendlichen durch Kunst. Es geht um Teilhabegerechtigkeit und Bildungsgerechtigkeit. TanzZeit ist ein wichtiger Meilenstein, aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein, Tanz ist noch lange nicht (wie Theater als Abiturfach Darstellendes Spiel) in der Bildungspolitik verankert.

Seit 2005 leitet die Musikerin und Komponistin Catherine Milliken das Education Programm der Berliner Philharmoniker. Sie sprach über positive angelsächsische Entwicklungen seit den 70er Jahren und leidenschaftlich über heutige Erfahrungen. Eine Stunde Musik pro Woche ist wahnsinnig wenig. Für einen flexiblen und sensiblen Umgang mit Kindern muss man arbeiten! Künstler können auch ihre eigenen Fähigkeiten in der Zusammenarbeit mit Schülern entwickeln, Skepsis und Ängste auf beiden Seiten abbauen. Singen, tanzen, musizieren, lesen ist etwas fürs Leben. Das Kreativitätspotenzial der künstlerischen Fächer müssen wir schätzen lernen. Auch Marcelle Bonjour, seit 1985 Beraterin für Tanz in Schulen im französischen Bildungsministerium, fordert Kontinuität in der kollektiven Arbeit von Schule und Kunst. Im zentralistischen Schulsystem Frankreichs gibt es seit 25 Jahren einen Tanzplan und ein nationales interdisziplinäres Weiterbildungsprogramm für Choreografen. 1500 Menschen sind mittlerweile in Frankreich als Vermittler in Sachen Kunst tätig. „Je stärker die Methodik, je stärker die Kreativität.“

Livia Patrizi wies hingegen auf die mangelnde strukturelle Verankerung von TanzZeit und den fehlenden Status der TanzZeit-Künstler hin. Sie wünscht sich einen Masterstudiengang Tanz in Schulen ebenso wie eine Kompetenzvermittlung in Sachen Tanz für Lehrer. Stichwort: Kooperation lernen! Hier hat die Senatsverwaltung ein erstes Fortbildungsprojekt für je 12 Lehrer/Künstler erprobt, um die Denkweisen und Handlungsspielräume besser kennen zu lernen, das weiter modifiziert werden soll, so Dr. Angelika Tischer verantwortlich für das Rahmenkonzept Kulturelle Bildung bei der Senatsverwaltung. In Deutschland und gerade auch in Berlin sind in den letzten Jahres aus der Schule heraus viele Initiativen entstanden. „Eine Schulreform ist momentan politisch nicht durchsetzbar. Seit 2004 arbeiten wir an einer Öffnung der Schulen, die die Entscheidungsspielräume und Ressourcen jeder Schule stärkt“. Dr. Tischers leidenschaftlicher Appell, „das persönlichkeitsbildende Potenzial von Kunst endlich fächerübergreifend in der Schule zu verstehen“, sollte auch außerhalb des engagierten Kreises der Künstler, Lehrer, Eltern und Förderer Gehör finden! Mit Bezug auf den wunderbaren Veranstaltungsort Radialsystem am Spreeufer äußersten Experten und Gäste den einhelligen Wunsch nach Tanzaufführungen für Kinder und Jugendliche am Vormittag in Berlin. Kinder wollen tanzen und Tanz erleben.
Noch bis 13. Juni 2010 im Radialsystem

 

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