Felix Landerers „suits“ räumt ab

24. Internationaler Wettbewerb für Choreographen Hannover

Hannover, 06/04/2010

Quasi nackt ausgestellt auf der leeren Bühne des Staatstheaters Hannover, so dass die choreografische Substanz klar zu Tage tritt, präsentieren sich acht Stücke, ausgesucht für das Finale des 24. Internationalen Wettbewerbs für Choreografen. Insgesamt 16 Bewerber nehmen teil, acht scheiden nach der ersten Runde aus. Knapp 180 junge Choreografen aus 42 Ländern hatten sich in diesem Jahr beworben. Eine Jury mit Ed Wubbe, dem Leiter des Scapino Ballets Rotterdam an der Spitze, entscheidet über die Verteilung der drei ersten Preise. Dazu werden verteilt: ein Publikumspreis, ein Kritikerpreis und ein Scapino-Produktionspreis, dessen Gewinner eine Produktion beim Scapino Ballet einstudieren kann. Vielleicht der wertvollste Preis des Wettbewerbs, der seit 24 Jahren von der Ballett-Gesellschaft Hannover bestritten wird.

Mitreißend buntes Treiben markiert den Anfang. „La Ecuación“ (die Gleichung) nennt Georges Cespedes (Kuba, Danza Contemporanea de Cuba) sein Werk. In einem mittig auf der Bühne platzierten Quaderskelett, gebildet aus filigranen Verstrebungen, packt Cespedes sein überbordendes Spektakel, aus dem drei Frauen und ein Mann in bunten Hosen – Aymara Vila Rodrigues, Wilsley Estacholi Silveiram, Heidy Batista, Marta Ines Ortega - mit atemberaubender Dynamik Funken schlagen.

Erst stellt sich jede(r) mit einem Solo vor, misst für sich die quadratische Grundfläche aus, dann folgen Duos, Trios und alle viere im steten Wechsel. Sprünge, Drehungen, Hebungen, synchrone Gruppenabläufe auf engstem Raum rollen in staunenswertem Tempo präzise ab, aufgeladen mit dynamischem Temperament. Stilistisch wird viel zusammengekocht, lateinamerikanische Percussionklänge heizen die Stimmung mächtig an. Cespedes entgeht nicht durchweg der Gefahr, ein Überangebot an Bewegungen zu massieren, dennoch brennt der Furor sich dem Auge ein. Die Zuschauer gestehen ihm den Publikumspreis zu.

Ein technisch und ausdrucksmäßig hohes Niveau von gut bis exzellent kennzeichnet alle Tänzer und Tänzerinnen, die Choreografien sind geprägt vom strukturierten Tanz, mit nur wenigen Tanztheater-Einsprengseln. Gemeinsam ist die Betonung der Arme, die ausgiebige Bodennutzung. Den Kritikerpreis heimst Stéphen Delattre (Frankreich, Staatstheater Mainz) mit „From Bad to Worst“ ein, gestaltet für zwei Männer (Delattre, Sébastien Mari). Wenn diese beiden kraftstrotzenden Männer zum Gesang einer Knabenstimme („Ave Maria“) tanzen, sich mal in den Arm beißen oder sich in den Schritt fassen, anscheinend blasphemisch gemeinte Gesten ausführen, einen gewaltsamen Kuss austauschen, Schläge austeilen, ergibt sich eine seltsam zwischen Satire und „Seriosität“ schwankende Stimmung.

Der einzige deutsche Teilnehmer, Felix Landerer, ist der Gewinner: Er erhält sowohl den 1. Preis der Jury (6000 Euro) als auch den Scapino-Produktionspreis: Landerer (freiberuflich) liefert sein Meisterstück mit „suits“, das er zusammen mit der fulminanten Maura Morales interpretiert. Immer wieder baut er Pausen, Stillstand ein, erhöht dadurch die Spannung, statt sie durch ununterbrochene Bewegungsströme zu brechen. Wenn Morales mitten in einer Abfolge den Zeigefinger hebt, als wolle sie sagen, so nicht, mein Lieber, wird mehr im Paarverhältnis sichtbar als beim motorischen Overkill an Körperaktionen.

Landerer entwickelt geduldig das Psychogramm einer Beziehung, fällt nirgends in die Falle pathetischer Attitüde, bleibt locker, humorig. Die Skala der Bewegungsdynamik, der unvermittelt explosiv startenden Sequenz, des ebenso unerwarteten Stopps, gekoppelt mit dem Mut zur Langsamkeit führt zum Inneren, gedehnte Seufzer in der Musik unterstreichen die Intensität. Zwischendurch blitzen immer wieder Momente rabiaten Slapsticks auf, deren tiefere Bedeutung einem erst Augenblicke später bewusst wird: aus dem Gleichgewicht bringen. Ständig wechseln beim Paar oben und unten, hinten und vorn. Am Schluss liegt sie mit ihm am Boden rücklings in seinen Armen, ein Kuss, sie lässt den Kopf wegfallen nach hinten – open end.

Den 2. Preis (3000 Euro) ergattern Rosana Hribbar & Gregor Lustek (Slowenien, freiberuflich) mit ihrem gemeinsam getanzten „Duet 012“ („Diversity of Opinions is Magnificent“). Die Verschiedenheit wird schon in der oft wiederholten Anfangssequenz deutlich: Sie tritt zu ihm, er begrüßt sie, die eine seiner Schultern erklimmt und sich daraufsetzt, worauf er sie gewaltsam herunterholt und auf den Boden rollt. Dieses Spiel erweitert sich in der Fläche zu einer Art tänzerischer Parterreakrobatik. Konditionell gibt’s da nichts auszusetzen. Nach meinem Eindruck tun sie jedoch zuviel des Guten, gehen über den Spannungs-Endpunkt hinaus. Danach quält sich das Stück dem Ende entgegen, bei dem sie sich am Boden verhaken und langsam von der Bühne schieben.

Yaniv Cohen (Israel, Carte Blanche Dance Company) sichert sich den 3. Preis (2000 Euro): Mit trockenem Witz lotet er mit seinem Partner Shlomi Ruimi sein Begehren aus: „I wish I was Johnny Cash“. Einer baut betulich eine Anlage auf, lässt ein dünnes Klavier hören, singt einen Song ins Mikrofon, zu dessen Worten wie Mole, Bird, Turtle der andere grotesk beschreibende Bewegungen ausführt, bis er meint „I wish I had a very good voice“ und erbarmungswürdig zu krächzen beginnt. Cash ist nicht zu hören, dafür Margaret Nelson mit angenehmer Stimme.

Außerdem treten beim Finale auf: Pedro Diaz (Portugal, Gärtnerplatztheater München) mit „Betwixt“,
Isham Rustem (Großbritannien, Tanz Luzerner Theater) mit „Twist of Fate“,
Choi SangYeul (Südkorea, freiberuflich) mit „Bolero“.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern