Ein etwas anderes Ballettbuch

Es stimmt schon: Der junge Mann mit dem verführerischen Schlafzimmerblick auf dem Titel des opulenten Fotobandes ist Roberto Bolle, Jahrgang 1975, Principe Ballerino des Balletts der Mailänder Scala – fotografiert von dem amerikanischen Mode- und Sportfotografen Bruce Weber. „An Athlete in Tights“ verheißt der englische Titel – den „Athleten“ nimmt man ihm ohne weiteres ab, von „Tights“, also Trikot, kann indessen nicht die Rede sein, denn nur Kopf, die muskulären Arme und Hände, nebst der linken Schulterpartie, sind zu sehen, so nackt, wie Gott sie erschaffen hat.

Bin ich der richtige Rezensent für dieses Buch? Ich scheitere schon bei der sechsten Textzeile – denn was ist ein „Quarterback“? Irgendein amerikanischer Football-Spieler, schwant mir –aber Nicht-Sportler, der ich bin, weiß ich nicht, was denn dessen Aufgabe genau ist. Und dann sind wir auch schon gleich bei der Super Bowl, der National Championship und bei den Dallas Cowboys. Auf Seite drei dann – wenn ich richtig gezählt habe – ein Taucher, auf Seite vier ein Stabhochspringer, auf den Seiten fünf und sechs zwei Jiu-Jitsu-Martial-Artists, gefolgt von zwei Football Players in Miami, einem olympischen Ringkämpfer, einem Sumo-Wettkampf in Tokyo, und einem Rugby-Play in der New Yorker Bronx. Ich zähle vorsichtshalber nochmals nach, verhaspele mich aber, weil Text- und Bildseiten durcheinander gehen und halte mich an die „List of Plates“, und bei Nummer sechzehn heißt es dann wirklich: Roberto Bolle, 2009 am Golden Beach in Florida.

Von da an dann kein Mangel an Texten, von Bolle selbst über sein Erweckungserlebnis mit Nurejew – und schon gar kein Mangel an Fotos, an die zweihundert dürften es sein, zahlreiche Jugendfotos – auch von anderen Fotografen. Und da gibt es nun wirklich viel Bolle, überwiegend mit nackten Oberkörper, auch in „Tights“ und im Slip, denn Mr. Bruce Weber, inzwischen 63jährig, einst Schüler und Assistent des berühmten Avedon, liebt die Jungs, und er versteht es, sie anmachend sexy vor seiner Kamera zu posieren. Bolle stellt sich als ein idealer Partner in diesem Dialog dar und Weber fotografiert ihn wie Robert Mapplethorpe ihn fotografieren würde, wenn er heute noch lebte. Dazwischen eingestreut sind Texte von D.W. Lawrence und Pasolini und Sinatra, auch viel Wasser und Küste und Boote und Schlafzimmer und Dusche und Vespa-Boys, auch Bärchen fehlen nicht, zwischendurch Bolle in Springerstiefeln, Zeichnungen, Aquarelle, vor Felsformationen, ständig nackte Rückenansichten, natürlich auch Fotos aus dem Probensaal und von der Bühne (eher wenige), aus dem Königlichen Opernhaus von Covent Garden und ein Rezept für ein Kürbis-Risotto von der „Mamma di Roberto“, auch Roberto in Berlin, Germany, und Roberto und Casper samt Pferd am Golden Beach in Florida. Sonst noch was gefällig? Das liefert die Fantasie jedes Betrachters. Die meine lief jedenfalls Amok – sie reichte allerdings nicht aus, mir Roberto Bolle als einen Quarterback der Danse d'école vorzustellen! „Roberto Bolle – An Athlete in Tights – By Bruce Weber“. teNeues, Kempen 2009, ISBN 876-3-8327-9196-4 EAN. 79,90 €