Quo vadis zeitgenössischer Tanz?

Bilanz der 20. Tanzwerkstatt Europa

München, 13/08/2010

Quo vadis zeitgenössischer Tanz? Was Münchens zehntägige Tanzwerkstatt Europa (TWE) zu ihrem 20. Jubiläum bot, reichte von kabarettistisch servierter Choreografen-Vita und streng zelebrierter Lach-Partitur bis zu minimalistischem Trampolin-Springen und düster dadaistischer Körper-Peepshow. Ad acta der ursprünglich Begriff von Choreografie als musikalisch begleiteter, im Raum strukturierter Bewegung. Seit Pina Bauschs schauspiel-nahem Tanztheater in den 80er Jahren umarmt der Tanz immer mehr, was außerhalb seiner liegt. Choreografen tanken auf an anderen Künsten. Andererseits springen Regisseure, Soziologen und bildende Künstler nur zu gerne auf den Zug „Choreografie“ auf.

Dies scheint der Fall bei dem Slowenen Janez Jansa, nebenberuflich Universitätsdozent, der mit „Fake it!“, einem Tanzgeschichte-Proseminar, einen drögen TWE-Auftakt lieferte (sh. tanznetz vom 06.08.2010).

Ähnliches Sujet, aber, man dankt es den Tänzer-Autoren Andrei Andrianow und Oleg Soulimenko, voll durchgestaltet zu der humorvoll-schrägen Autobiographie „Made in Russia“. Soulimenko tanzt in schwarzen Strumpfhosen und theatralem Tschako den Don José: allein! Weil seine einstige Carmen-Partnerin, die berühmte Maja Plissetzkaja, absagte. Maja also nur auf dem Video-Schirm. Und Andrianow outet sich als zufälliges Ergebnis eines Moskau-Aufenthaltes des großen Cineasten Jean-Luc Godard. Mit solchen herrlichen Lügengeschichten und hintersinnigem Körperwitz peppen die beiden Münchhausen ihren eigenen Werdegang als Performer auf: Soulimenko „macht“ den Butoh-Tänzer, Andrianow den Pantomimen, beide verknoten sich in einer Kontaktimprovisation – Karl Valentin hätte das alles total gefallen –, lassen aber dennoch ihren eigenen Existenzkampf während der Nach-Perestroika-Zeit durchscheinen.

Antonia Baehr aus Berlin, mit Herrenhaarschnitt und im grauen Business-Anzug verfremdet, lacht sich hochkonzentriert durch die Tonleitern: in allen Variationen zwischen keckerndem Sopran und obertonreichem röhrendem Bass. Baehrs „Lachen“ ist eine auch immer wieder zum Mitlachen reizende abstrakte Virtuosen-Darbietung – die sich am Ende, wenn die Stimmkünstlerin zur bedrohlichen Lachmarionette wird, doch noch mit Bedeutung auflädt.

Bildnerische Impressionen dann bei des Dänen Palle Granhoj eigenwilliger Installation „W(doubleyou) – Undertow“. Ein Deutungsversuch des Titels und Granhojs unterliegendem Konzept: „George W. Bush – Widersee“. Das heißt: Der Grundstrom läuft in entgegengesetzter Richtung zur Oberflächenströmung. W. war angetreten, um die 'mitfühlende Gesellschaft' (compassionate society) zu gründen und endete mit zwei Kriegen. Zu besichtigen sind hier die Resultate. Granhojs im Dunklen liegender Bühnenraum besteht aus kleinen Pfahlbauten mit jeweils gläsernem Boden. Der Zuschauer, hier in Rückenlage, hat bequem freie Sicht in die Miniatur-Gehäuse. Darin drehen und wenden sich die Tänzer, meist eng gepresst an die gläserne Platte, und verformen, verknautschen sich so zu skurrilen, grotesk verzerrten und erschreckend entstellten Körper-Bildern (Assoziationen auch zu den in Formalin konservierten Missgeburten). Eine Performance – live begleitet von exotischen Liedern und den herben Klängen einer Viola – wie ein surrealer Alptraum.

Mit Mette Ingvartsen und Jefta von Dinther hätte man theoretisch abheben können. Das Duo schnellt nämlich von seinen zwei nebeneinander stehenden Riesentrampolinen unentwegt in die Höhe: stockgerade; mit angezogenen Knien; rittlings; bäuchlings; mit Luftpirouetten; auch beim Hochdotzen mal Hemd und Schuh abstreifend. Der Zuschauer wippt da wohl in kinästhetischem Respons sekundenweise innerlich mit. Alles in allem beschränkt sich der Seh-Gewinn auf das Beiwohnen einer sportlichen Geschicklichkeits- und Kraftleistung. Ob es einem nun gefällt oder nicht: der freie Tanz präsentiert sich zur Zeit als eine merkwürdige, insgesamt eher flache Multikunst. Aber diese Phase wird er, hoffentlich, irgendwann auch wieder hinter sich lassen.

Heute noch „Working Titles“ von Ivana Müller, 20 Uhr 30 in der Muffathalle. Dort am Samstag, 20 Uhr 30, die große finale (eintrittsfreie) Lecture Demonstration.

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