Vom großen Jahrgang 1993

Spoerlis „Goldberg-Variationen“, nach sechzehn Jahren wiederaufgenommen

oe
Zürich, 27/11/2009

Es ist wie ein Gang in den Weinkeller zu den besten Lagen. Damals 1993, archiviert noch in Düsseldorf, inzwischen umgezogen nach Zürich, jetzt wieder hervorgeholt, vorsichtig entkorkt fürs bevorstehende Athen-Gastspiel, erweisen sich die Spoerlischen „Goldberg-Variationen“ als eine Cuvée, die an Qualität zugenommen hat, gereift, mit deutlich intensivierter Struktur, die Farben noch reiner gesättigt, noch leuchtender: ein Blauburgunder alias Pinot noir, die Parker-Bewertung noch um zwei Punkte zugenommen. So rein, so klar, so schön. Ein ausgesprochen musikalischer Wein, wenn es so etwas gibt, von Alexey Botvinov am Flügel sorgsamst kredenzt, so dass man alle seine Geschmacksnuancen mittels der Gehörnerven auskosten kann – die Sehnerven aufs Feinste sowieso.

Schon die Eingangs-Aria ein Ritual, mit der ganzen Kompanie auf der Bühne, der Duft langsam in die Nase steigend, wenn die Lockerungsübungen der Oberkörper beginnen, das Sichstrecken, die Muskulatur peu à peu geschmeidig machend – ein bisschen à la „Serenade“, aber die Arme viel geschmeidiger, mit einem Hauch von japanischer Bogenschützen-Zen-Ritualistik appliziert.
Keine Frage, dies ist ein sehr männlicher Wein, das wird gleich in der ersten Variation deutlich, mit Arman Grigoryan, Vitali Safronkine und Jiayong Sun – auch mit fernöstlicher Beteiligung ist die Herkunft der Reben aus der Züchtung von Eriwan unverkennbar, wird noch verstärkt von Vahe Martirosyan und Arsen Mehrabyan.

Ein Genuss wieder die farbfrohen Ganztrikots von Keso Dekker, die in der Beleuchtung von Jan Thomas Hofstra so perfekt auf die auf die Hintergrundprospekte, zarte Wolkenformationen oder irisierende Monofarben abgestimmt sind. Und so hebt es an, das neunzigminütige Verkosten immer raffinierterer Mixturen, als Soli, Duos, Pas de trois, kleine Gruppen, größere Ballungen, wohl assortiert, in denen die Frauen um Galina Mihaylova, Juliette Brunner und Viktoria Kapitonova die feineren Akzente setzen. Eine tänzerische Weinverkostung der subtilsten Nuancierungen – in steter Steigerung und unendlichem Fluss. Eine Seance unter Connaisseurs, die einander die Pointen weiterreichen. Tänzerische Konversation, geistreich, pointiert – und immer dazu die Bachsche Rebstock-Qualität. Jahr für Jahr veredelt.

Bis es dann dem Ende entgegengeht. Die Flaschen wieder zugekorkt werden, eine um die andere, in den Keller, ins Regal zurückwandern, geborgen in der Dunkelheit, ausruhend bis zur nächsten Verköstigung. Superb – wunderbar die Silhouetten der schlanken Tänzer im verdämmernden Abendlicht, gekeltert und ausgebaut im Barrique-Verfahren. Ein Premier cru der Mouton-Spoerli-Klasse! Am folgenden Abend dann „Le Corsaire“ – oder vielmehr: „Il Corsaro“, Melodramma tragico, nicht von Petipa, sondern von Giuseppe Verdi, Jahrgang 1848 – ein Produkt seiner „Galeerenjahre“ – kein Vergleich mit dem hinreißenden Piraten-Ballett von 1899. Aber ein Bühnenbild – Inseln im spiegelglitzernden Meer, knöcheltief geflutet – traumschön, doch im Übrigen: ein eindeutiger Sieg des Balletts über die Oper!

 

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