Schwerkraft außer Kraft

„Darf ich bitten“. Von rauschenden Bällen, heißen Rhythmen und nimmermüden Füßen.

Lüneburg, 16/11/2009

In „Darf ich bitten”, einer Kulturgeschichte des Gesellschaftstanzes, vermeidet Claudia Teibler die Falle einer ermüdenden chronologischen Aufzählung der Entwicklungen, nähert sich vielmehr dem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven an, die schließlich zu einer weit gefächerten Gesamtschau zusammenfließen. Sie steigt mit einer kurz gefassten tour d’horizon ein, serviert dann in fünf Kapiteln, jeweils aufgeteilt in mehrere meist zwei- bis vierseitige Abschnitte, den Leser/Innen vergnüglich-kompetent jene Informationen, die zum Verständnis der Zeitenwandel, u.a. vom mittelalterlichen Tanzen im Dorfe über die Ägide Ludwigs XIV am Hof bis hin zur „Demokratisierung des Tanzes” in Bürgerkreisen führen. Beispielsweise zieht sie einen Bogen von der Dorflinde zur Disco, also von Orten und Räumen, in denen sich die Tanzbegeisterten tummel(te)n.

Prächtige Abbildungen, gemalt, gezeichnet und fotografiert, begleiten den Text, akzentuieren das Beschriebene, nicht zuletzt durch die liebevolle Gestaltung von Kuni Taguchi, die schon vorn mit beschwingt über die Aufschlagseiten wirbelnden Figuren die Leser/Innen ins Buch reißt. Die sinnliche Komponente wird sichtbar, das großzügige Buchformat (28x21,5 cm) verstärkt die Wirkung.

Körper im Einklang; Paartanz, der sich vor 200 Jahren entwickelte: „Vom Reigen zum Paartanz” zeigt Teibler die Linie auf. Und da greift der zitierte Ausspruch Fred Astaires: „Tanzen ist ein Telegramm an die Erde mit der Bitte um Aufhebung der Schwerkraft” – das wird belegt mit einer zwölfteiligen Fotosequenz, in der er mit Ginger Rogers, seiner langjährigen Partnerin, tatsächlich schwerelos „cheek to cheek” tanzt.

Zur Auflockerung und Bekräftigung lässt Teibler immer wieder Zitate aus der Literatur einfließen, führt zum Beispiel „Vom Rausch des schönen Scheins”, eine Szene aus Gustave Flauberts „Madame Bovary”, oder die Episode „Die verpatzte Mazurka” aus Tolstois „Kindheit”. Gesellschaftliche Zustände beleuchtet Teibler eindringlich, verzichtet jedoch auf den moralischen Fingerzeig. Vor diesen Hintergründen gewinnen etwa die Sujets von „Tanz und Erotik” oder „Tanz als Geschlechterkampf” plastische Wirkung. Völlig unterschiedlich lief die Annäherung von Frau und Mann in den Jahrhunderten ab, von streng reglementiert bis hemmungslos offen. Der Walzer sticht in der Geschichte hervor als jener Tanz, bei dem sich die Körper im Duo Mann-Frau berühren. In Tanzporträts schildert Teibler auch in diesem Zusammenhang die Besonderheiten von Walzer, Polka, Cakewalk, Charleston, Rumba, Twist u.a. Wie weit es einer bringen kann, sofern er sich beruflich dem Tanz verschreibt, zeigt Teibler in „Traumtänzer” mit dem heterogenen Trio Rudolf Valentino, Fred Astaire und John Travolta.

Ein wunderbares Buch; es muss nicht quasi pflichtbewusst hintereinander gelesen werden, es lädt zum selektiven Stöbern ein, zum Genießen der schönen Illustrationen. Und der Ballettfan oder Berufsballetttänzer kann den Querverbindungen zum Ballett nachspüren.

Das wär’s doch als Weihnachtsgeschenk.

Claudia Teibler: „Von rauschenden Bällen, heißen Rhythmen und nimmermüden Füßen“ (Gebundene Ausgabe), Elisabeth Sandmann Verlag, München 2009, 160 Seiten, 24,95 Euro, ISBN 978-3938045381 direkt bestellen über Amazon

 

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