Mit Fächer und Degen

„Eonnagata” von Robert Lepage, Sylvie Guillem und Russell Maliphant würdigt einen berühmten Transgender aus dem 18. Jahrhundert

Berlin, 11/11/2009

Das bewegte Leben des Chevalier Charles d’Éon de Beaumont (1728-1810) dürfte für jeden zeitgenössischen Genderforscher ein gefundenes Fressen sein: Der Diplomat, Kriegsheld und Spion verbrachte die Hälfte seiner schillernden Karriere in Frauenkleidern und machte anlässlich der Französischen Revolution gar den Vorschlag zur Gründung eines rein weiblichen Regiments. Knapp 200 Jahre nach seinem Tod wird der legendäre Cross-Dresser endlich auch künstlerisch gewürdigt: In dem Stück „Eonnagata” begibt sich der kanadische Theaterzauberer Robert Lepage auf die Suche nach einem Ort zwischen den Geschlechtern. Tänzerisch unterstützt wird er dabei von Ausnahmeballerina Sylvie Guillem und dem britischen Choreografen Russell Maliphant, der tanznetz.de wenige Tage vor der Deutschlandpremiere Rede und Antwort stand.

„Eonnagata” entstand aus der Zusammenarbeit zwischen Ihnen, Sylvie Guillem und Robert Lepage, der vermutlich einer der einflussreichsten Theaterregisseure unserer Zeit ist. Kann man sagen, wie viel Tanz und wie viel Theater auf der Bühne zu sehen sein wird?

Robert Lepage: Das ist schwer zu sagen. Denn es ist weder ein Tanzstück noch ein Theaterstück, sondern eine Mischung dieser beiden Welten. Was mich an Roberts Arbeiten immer besonders fasziniert hat, ist die Tatsache, dass es dort immer eine Art Choreografie der Bewegung gab. Für mich verfügt „Eonnagata” über eine Logik der Bewegung, die sich manchmal als Tanz und manchmal in einer Sprache zwischen Tanz und Theater manifestiert. Das Stück enthält eine breite Skala von Bewegungsqualitäten - vom „reinen Tanz” bis hin zu eher beiläufigen, fast alltäglichen Bewegungen...

Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Robert Lepage: Der Auslöser dafür kam hauptsächlich von Sylvie, mit der ich schon seit einigen Jahren regelmäßig zusammenarbeite. Wir haben oft überlegt, welche anderen Künstler wir inspirierend fänden, und für mich war das immer Robert. Und dann trafen sich Sylvie und Robert zufällig in Sydney. Sylvie hatte schon früher einmal zu ihm gesagt, wenn er jemals eine Tänzerin für eines seiner Stücke bräuchte, würde sie das gerne machen. Und ich sagte: Ich fände das auch toll. Er ist wahrscheinlich einer der wenigen Leute auf der Welt, mit denen ich gerne zusammenarbeiten würde.

Sie haben bereits einige Stück mit Sylvie Guillem entwickelt. War die Arbeit bei „Eonnagata” ähnlich oder extrem unterschiedlich?

Robert Lepage: Der Prozess war sehr unterschiedlich. Normalerweise, wenn ich an einem Stück arbeite - und das gilt auch für meine letzten Produktionen mit Sylvie, „Broken Fall” und „Push” - ist das Thema die Bewegung, eine Art Reise durch die Bewegung. Ich lasse eine Bewegung laufen, bis ihre Energie sich erschöpft oder bis sie in etwas anderes übergeht. Wie eine Handbewegung, die ihrem eigenen Impuls folgt und zugleich mit Musik und Licht in einer dynamischen Beziehung steht. Hier dagegen gibt es wirklich eine Handlung, die Lebensgeschichte des Chevalier d’Éon. Also ergibt sich die Bewegung nicht daraus, dass man einfach nur ihrer inneren Logik folgt. Sie hat eine Beziehung zur Geschichte. Das heißt, auch die Suche nach Bewegung folgt einer ganz unterschiedlichen Logik. Sie muss sich einer anderen Energie und einer anderen Dauer unterordnen. Und das war eine ganz neue Erfahrung für mich.

Wie kamen Sie auf die Idee, ein Stück über den Chevalier d’Éon zu erarbeiten?

Robert Lepage: Das war Roberts Idee. Als er unser Duo „Push” gesehen hatte, fand er, dass es darin sehr stark um männliche und weibliche Energie ging, um Polaritäten. Das interessierte ihn sehr. Also suchte er nach einer Geschichte, um diesen Aspekt zu vertiefen, einer Geschichte, in der es um Männlichkeit und Weiblichkeit und den Ort dazwischen gehen sollte.

Sie sind alle drei sehr ausgeprägte künstlerische Persönlichkeiten. Wie verlief die Zusammenarbeit?

Robert Lepage: Als wir uns zum ersten Mal trafen, wussten wir nicht genau, wie wir dieses Projekt anfangen sollten. Wir hatten keine Ahnung, wie diese französisch-englisch-kanadische Verbindung funktionieren würde. Sylvie und ich hatten niemals in einer derartigen Konstellation zusammengearbeitet - und Robert auch nicht. Wir mussten erst einmal Methoden der Zusammenarbeit ausprobieren, herausfinden, was wir brauchten, um gemeinsam einen Prozess zu entwickeln. Vieles davon wurde uns erst während der Arbeit klar. Schließlich erarbeiteten Sylvie und ich ein bisschen Bewegungsmaterial, veränderten es und zeigten es Robert. Daraus ergaben sich die ersten Szenen. Im Folgenden bereiteten wir immer wieder kleinere Sequenzen vor, und nach und nach entstand daraus eine Geschichte.

Der Titel „Eonnagata” verweist auch auf die Tradition des Onagata im japanischen Kabuki-Theater, wo Männer die Rollen von Frauen spielen - und zwar in extrem stilisierter Art und Weise. Wie stark ist das Stück von Kabuki beeinflusst?

Robert Lepage: Der Tausch der Geschlechterrollen ist bei uns in der Tat stark stilisiert. Manchmal bin ich der Chevalier d’Éon als Frau, oder Sylvie als Mann, oder Robert als Frau. Viel an diesem Stück ist von japanischer Kultur beeinflusst. Auf der einen Seite haben wir Rhythmen und Vokabular von Kodo-Trommlern übernommen, auf der anderen Seite erinnert unser Bühnenbild stark an traditionelles Kabuki-Theater. Auch unsere Arbeit mit Fächern und die plötzlichen Lichtwechsel erzeugen ganz ähnliche, fast magische Illusionseffekte.

Für Sie ist es das erste Mal, dass Sie mit theatralen Elementen gearbeitet haben. Hat dieser Umgang mit Narrativität einen Einfluss auf Ihr eigenes Schaffen?

Robert Lepage: Nein, ich bin dadurch sicherlich nicht theatralischer geworden. Meine neueste Arbeit ist sehr abstrakt. Es geht um Tanz, Licht und Musik - ohne jede Theatralität. Es gibt keine Handlung, keine narrativen Elemente. Ich beschäftige mich darin mehr mit Dynamiken, mit Musikalität und lyrischen Qualitäten.

Aber könnten Sie sich vorstellen, weiterhin mit Robert Lepage zusammenzuarbeiten?

Robert Lepage: Ich weiß nicht. Mit „Eonnagata” werden wir bis 2011 oder 2012 auf Tournee sein. Für mich ist das schon sehr weit in die Zukunft geplant - obwohl ich weiß, dass Robert schon Projekte für die nächsten zehn Jahre hat. Ich habe drei Kinder im Alter von 3, 6 und 9 Jahren. Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, was ich machen werde, wenn das älteste von ihnen 15 ist. Mehr als zwei oder drei Jahre kann und will ich nicht vorausplanen.

Ist „Eonnagata” ein abgeschlossenes Stück, oder verändert es sich von Aufführung zu Aufführung?

Robert Lepage: Es verändert sich sehr stark. Wir sind immer noch dabei, eine gemeinsame Arbeitsweise zu entwickeln. Und dieser Prozess wird mit jeder Woche klarer, die wir gemeinsam auf Tournee sind. Durch jede Aufführung verstehen wir einander ein bisschen besser, und das eröffnet uns Experimentiermöglichkeiten, die wir davor gar nicht wahrgenommen hatten. Andererseits sehen wir einander nur alle drei Monate, da wir alle sehr beschäftigt sind. Wir fangen also auch immer wieder ein bisschen von vorne an. Auf jeden Fall ist das Stück jetzt ganz anders als noch während der ersten zehn Aufführungen. Und das macht es für uns sehr interessant. Bei unserem Gastspiel in Berlin werden wir zum ersten Mal ein paar vollkommen neue Szenen ausprobieren, die zuvor noch kein anderes Publikum gesehen hat. Ich hoffe, das wird spannend für alle Beteiligten. ( Eine gekürzte Fassung dieses Textes erschien bereits in der Ausgabe 11/12/09 des Magazins TanzRaumBerlin.) „Eonnagata”, vom 12. bis 15. November, Haus der Berliner Festspiele, jeweils um 20 Uhr. www.spielzeiteuropa.de http://lacaserne.net www.rmcompany.co.uk

 

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