Lust und Fesseln

„BurkaBondage“ von Helena Waldmann im Haus der Berliner Festspiele

Berlin, 10/10/2009

Dass Zwänge und Begrenzungen auch Lust und schließlich Befreiung erzeugen können, wissen nicht nur praktizierende Sado-Masochisten. In Japan wird seit Jahrhunderten die Kunst der rituellen Fesselung praktiziert, die dem Gefesselten eine fast religiöse Grenzerfahrung zuteil werden lässt und im Extremfall sogar mit dem Tod enden kann. Selbstauslöschung als konsequenteste Behauptung der eigenen Freiheit steht auch im Mittelpunkt von Helena Waldmanns neuem Stück “BurkaBondage”. Interessanterweise stellt die weitgereiste Künstlerin hier eine Beziehung zwischen lusterzeugenden Fesseltechniken und der in einigen islamischen Ländern verbreiteten, den gesamten weiblichen Körper bedeckenden Burka her – was auf den ersten Blick wie ein erfrischender Verstoß gegen die politisch korrekte Lesart erscheint, die in verschleierten Frauen nur Opfer sehen möchte.
Unterstützt von der afghanischen Schauspielerin Monireh Hashemi (die leider aus politischen Gründen nicht mit auf der Bühne sein kann) hat die Choreografin eine theatrale Versuchsanordnung entwickelt, in der zwei Tänzerinnen einige Spielarten der Vermummung, Kasteiung und daraus resultierenden Extase durchexerzieren. Rund um ein mit weißen Gazebinden umwickeltes würfelförmiges Holzgerüst ranken sich Schlingen, Seile und meterweise weiße Stoffbahnen. Der Würfel dient als Bühne des Perkussionisten Mohammad Reza Mortavazi, der die choreographischen Aktionen mit rhythmischen Trommelschlägen oder Rassel- und Kratzgeräuschen untermalt. Zugleich werden auf ihn immer wieder apokalyptische Zeichentricksequenzen des japanischen Illustrators Acci Baba projiziert: Vögel, die blutig an Scheiben zerschellen, oder Kopftücher, die zu Zündschnüren werden.

Leider beeindruckt der von Jochen Sauer geschaffene Bühnenraum weit mehr als das eigentliche Geschehen: Vania Rovisco und Yui Kawaguchi, zwei überaus präsente Interpretinnen, die eigentlich ein dramaturgisch schlüssiger konstruiertes Stück verdient hätten, fesseln einander, tanzen enthemmt unter wallenden weißen Stoffen und beschnuppern und lecken einander in hündisch-provokativer Zuneigung. Gäbe es nicht einige wenige humorvolle Momente – zum Beispiel dann, wenn die beiden einander vollkommen vermummt wie zwei groteske Comicfiguren in die Arme fallen –, wären die überlangen 90 Minuten, die das Stück andauert, kaum auszuhalten. Denn leider übertragen sich die Sinneserfahrungen, die die verhüllten oder eingeschnürten Interpretinnen zweifellos machen, keineswegs auf den Zuschauer. Vermag die Ausgangsthese des Abends – gerade durch die härtesten Beschränkungen entsteht die größte Freiheit – noch als Reflexion über die unauslöschliche Würde kulturell unterdrückter Frauen zu interessieren – die künstlerische Umsetzung tut es leider nicht.

www.helenawaldmann.com

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