Es darf kein Monolog sein

Ein Gespräch mit der Kölner Choreografin und Tänzerin Katharine Sehnert

Köln, 06/10/2009

Sie ist eine der letzten Mary-Wigman-Schülerinnen, die ihre Tanzausbildung vollständig bei der Pionierin des zeitgenössischen Tanzes absolviert haben. Angeschlossen hat sich für die heute 72-jährige Katharine Sehnert ein bewegtes Bühnenleben als Tänzerin, Choreografin, Tanzpädagogin und schließlich als Prinzipalin des TANZRAUM in der Kölner Südstadt. In diesem Jahr wird sie mit dem Kölner Ehrentheaterpreis ausgezeichnet.

Fünfzig Jahre hat sie auf der Tanzbühne gestanden oder selbst inszeniert, hat für zahlreiche deutsche und internationale Bühnen choreografiert, hat Tanz unterrichtet und eigene Ensembles gegründet. Fast drei Jahrzehnte hat sie den Tanz in Köln mitgeprägt. Zwanzig Jahre leitete sie den TANZRAUM und präsentierte in der Tanzreihe MultiArt Pretiosen des Tanzes, mit hochkarätigen Gästen aus der Tanzwelt. 1993 hat sie den ersten Kölner Tanztheaterpreis für ihr Solo „Lautloses Echo“ erhalten. Klaus Keil sprach mit Katharine Sehnert über ihr Leben für den Tanz.

Redaktion: Katharine, Deine Tanz- und Pädagogenausbildung hast Du 1955 bis 1963 bei Mary Wigman in Berlin erhalten, bist dann noch bis 1969 am Wigman-Studio geblieben und hast dort 1962 die Gruppe Motion mitbegründet und damit die erste Gruppe der freie Tanzszene Deutschlands überhaupt.

Katharine Sehnert: Wir haben einfach nach einer zeitgemäßen Form des Tanzes in der Nachkriegszeit gesucht. Mit dem Ausdruckstanz der Vorkriegszeit konnte und wollte man nichts mehr anfangen. Es war eine Zeit des Aufbruchs. Wir wollten wieder auf die Bewegung direkt zurückkommen, sie befreien von aufgesetzten Inhalten. Das waren wegweisende Veränderungen.

Redaktion: Also die Bewegung als Material des Tanzes neu denken?

Katharine Sehnert: Bis dahin war zuerst der Inhalt da und man suchte eine Bewegung dafür. Aber Bewegung an sich hat schon eine Bedeutung, so dass man nicht noch eine literarische oder andere darunter legen muss. Wir haben also jede Bewegung auf ihren eigenen Inhalt abgetastet und erkannt, dass man auch die Bewegung an sich sprechen lassen kann. Das war eine wichtige Erkenntnis.

Redaktion: Wie setzte sich diese Erkenntnis dann auf der Bühne fort?

Katharine Sehnert: Wir aus der Wigman-Richtung hatten ein anderes Verhältnis zum Raum. Es war wichtig, sich nicht nur im Raum zu bewegen, sondern dass der Tanz den Raum bewegt. Da fing es an, interessant zu werden. Der Dialog von außen nach innen und innen nach außen musste ständig in der Balance sein. Dieser Dialog mit dem Raum, den mein Körper bildet und mein Umfeld, in dem ich mich bewege, ist wichtig, es darf kein Monolog sein. Das bringt den Spannungsbogen in den Tanz.

Redaktion: Dieses Anliegen hast Du dann ja 1982, als Du in Köln den TANZRAUM und später die Tanzreihe MultiArt gegründet hast, in Deiner Arbeit fortgeführt.

Katharine Sehnert: Ja, das ist meine Basis. Natürlich hab ich auch Graham und Limon gemacht, aber erst bei meiner Beschäftigung mit Butoh hab ich festgestellt, dass ich das Beste in meiner Ausbildung bei Wigman mitgekriegt habe. Da hat sich für mich ein Kreis geschlossen.

Redaktion: Und diese Basis trägt bis heute.

Katharine Sehnert: Natürlich. Ich merke jetzt, dass das Interesse an Wigman und dem Ausdruckstanz wieder stärker wird. Junge Tänzer sind begierig, mehr darüber zu erfahren. Es gibt Tänzer wie z.B. Martin Nachbar, der sich mit Dore Hoyer auseinandersetzt und Fabian Barba aus Ecuador, der Wigman-Tänze rekonstruiert.

Redaktion: Damit sind wir auch gleich bei dem, was Du heute machst. 2002 hast Du den TANZRAUM wegen hoher Miete schließen müssen. Was machst du jetzt?

Katharine Sehnert: Ich arbeite wieder freiberuflich, tanze, choreografiere und gebe Seminare und Workshops, in denen ich unter anderem versuche, unser Erbe lebendig zu halten. Denn Rekonstruktionen sind schwierig, da es nur Fotos gibt, die eingefrorene Momente festhalten. Man muss aber wissen, wo die Bewegung herkam. Wenn man nicht weiß, ob sie aus dem Gleiten oder dem Schwung kommt dann stellt sich schon die Frage, wozu rekonstruiert werden soll, weil der Bewegung einfach das Leben fehlt und sie nur altmodisch bleibt.

Redaktion: Welche Bedeutung hat der Ausdruckstanz noch für den heutigen Tanz?

Katharine Sehnert: Mary Wigman hat keine festgelegte Technik hinterlassen. So ist die Vermittlung immer abhängig vom jeweiligen Lehrer und der Zeit, in der er lebt. Es ist die Bewegungssprache an sich. Wigman war mit ihrer Zeit verbunden, in ihren Gedanken und Empfindungen. Heute beschäftigt uns etwas anderes. Aber was das Verständnis von Bewegung ist, woher sie kommt und wohin sie gehen muss, in den Raum, um ihre größte Ausstrahlung zu haben, das darf nicht verloren gehen.

Redaktion: Das sind dann auch die Inhalte Deiner Seminare, wie etwa „Zum Ursprung der Bewegung finden“?

Katharine Sehnert: Genau. Heute wird zwar mit vielen Bewegungen getanzt, auch sehr technisch, aber die Bewegungsqualität, der Speed, ist immer einheitlich. Die Qualität der Bewegungen bei Wigman war, innerhalb einer Bewegung zu wechseln. Unterschiede in der Spannung zeigen, von ganz zart bis Highpower.

Redaktion: Katharine, dann noch viel Power für Deine Zukunft, danke für das Gespräch und noch einmal Glückwunsch zum Kölner Ehrentheaterpreis.

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