„Choreographic Captures“

Ein Interview mit Walter Heun zu seinen Tanzfilmen im Internet

Tanz und Film - beides Bilder in Bewegung. Zufall oder nicht, Anfang des 20. Jahrhunderts entwickeln sich zeitgleich die junge Kinematographie und der sich vom Ballett lösende freie Tanz.

München, 04/07/2009

Tanz und Film - beides Bilder in Bewegung. Zufall oder nicht, Anfang des 20. Jahrhunderts entwickeln sich zeitgleich die junge Kinematographie und der sich vom Ballett lösende freie Tanz. Diese freie Bewegungsform, die heute unter der Bezeichnung zeitgenössischer Tanz gefasst wird, hat, im Gegensatz zum Film, immer noch den Ruch der Insiderkunst. An diesem einengenden Image rüttelt jetzt Münchens Joint-Adventures-Chef Walter Heun, hierorts bestens bekannt durch seine seit 1991 jährlich stattfindende Tanzwerkstatt Europa: 2008 schrieb er erstmals einen internationalen Wettbewerb für einminütige Tanzfilme aus. Mit enormem Echo, auch wieder 2009. Die besten dieser „Choreographic Captures“ („choreographisch Eingefangenes“) sind zwischen den Werbeblöcken in bis zu 50 deutschen Kinos zu sehen. Öffentlichkeit ist also garantiert.

Herr Heun, was war der Anstoß zu diesem Wettbewerb?
Heun: Ich fand es traurig, dass der Fernsehkanal arte den Sendeplatz für Tanz-Videos gestrichen hat. Deshalb wollte ich ein neues mediengerechtes Format finden. Diese Captures sind aber nicht als Abfilmen von Tanz gedacht. Choreographen, Filmemacher, Designer sollen mit Kamerfahrten und -perspektiven, mit Schnitt-Gegenschnitt und Rhythmisierung von Bildern choreographisch umgehen, durchaus auch mit abstrakten Ansätzen oder auch mit Animation arbeiten.

Bei etwa hundert Einsendungen aus zwanzig verschiedenen Ländern bis hin nach Korea müsste sich eine Vielfalt der Formen ergeben haben...
Heun: Das ganze Spektrum zwischen abstrakt und dokumentarisch, von computer-gesteuerten beweglichen Lichtspielen an Wänden und im Wasser bis zum tanzenden Polizisten auf einer Kreuzung in Ramallah und zum Zeitlupen-Sackhüpfen in Berlins Straßen. Es gibt Videos mit politischer und kultureller Sprengkraft und auf der anderen Seite sehr humorvolle Arbeiten. Mit das Überraschendste an diesem Einminuten-Format ist, dass es Choreographen tatsächlich gelingt, darin eine ganze Geschichte zu erzählen.

Welche Bedingungen müssen bei Teilnahme erfüllt werden?
Heun: Die, die den Kino-Preis gewinnen wollen, müssen mindestens auf High Definition drehen. Aber fast jeder ist mittlerweile im Besitz einer mini DVD-Kamera, die auch schon hervorragendes Material produziert... Den 3. Preis hat letztes Jahr der international renommierte britische Choreograph Wayne McGregor gewonnen. Der erste Preis ging jedoch an die hier völlig unbekannte 22jährige Russin Anna Dubrovska für einen virtuosen Film zwischen zeitgenössischem Tanz und Parcouring über ausrastende Büro-Angestellte.

Groteske und auch abstrakt dadaistische Kurzfilme sind ja schon in den 1920er/30er Jahren gemacht worden. Der Amerikaner Man Ray ließ in seinen experimentellen Streifen Hüte und Schirme tanzen. Und seit den 1980er Jahren, inspiriert sicherlich auch durch Michael Jackson, wurde Tanz zum Präsentationsmedium in den Musik-Videos.
Heun: Stimmt, heute sind achtzig Prozent aller Musikvideos eigentlich Tanzvideos. Aber der Tanz darin ist schon standardisiert. Wenn die kommerziellen Filmer mal zeitgenössische Choreographen dafür holen würden, wären sie überrascht, was alles mit Tanz möglich ist.... Neu bei uns ist, dass die Videos einen Gegenentwurf zu den üblichen Werbeclips darstellen. Und: man kann die von den Künstlern freigegebenen Videos aus dem Internet unter www.choreographiccaptures.org auf das Handy herunterladen. Über das neu gegründete European Dancehouses Network werden wir wahrscheinlich demnächst die Captures auch in anderen eurpäischen Ländern in die Kinos bringen.

Das Auswählen der Videos, die Distribution der Filme, die Finanzierung - ein Brocken...
Heun: Wir haben glücklicherweise viele Partner und Sponsoren gefunden. Dankbar sind wir auch für die Tipps von Münchens Filmfest-Leiter Andreas Ströhl, wie das System zwischen Kinowerbung und Kinobetreibern funktioniert und wer die zentralen Persönlichkeiten sind, die man ansprechen muss. Dieses Jahr hat er auch bei unserer Jury mitgewirkt und ermöglicht die Preisverleihung im Rahmen des Filmfestes. Besser geht's gar nicht.

Preisverleihung mit Video-Präsentation in der Black Box im Münchner Gasteig am 4. Juli, 17 - 19 Uhr. Eintritt frei.

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