Ungestüme Europäer freigesetzt

„Animal Park“ und „Crossing Silence“ des Dansk Danseteater beim Festival Tanzwelten 08 am Braunschweiger Staatstheater

Braunschweig, 16/03/2008

Fast komplett in grau übermittelt der Webserver die Bestuhlung des Kleinen Hauses auf den Monitor: Das galt in der Woche vor dem Start des Festivals Tanzwelten 08 für die meisten Abende. Das Braunschweiger Publikum hat ein Faible für Tanz und räumte die Karten ab. Nebenher sind Präferenzen erkennbar, auf welche ein internationales Festival gerne baut. Die heftigste Nachfrage galt Produktionen aus fernen Kulturkreisen – China, Schwarzafrika und Indien. Für ein europäisches Ensemble kann die Blässe-Vermutung nicht lange Hemmnis sein - jedenfalls, wenn es wie das Dansk Dansteater die neuronalen Netze in Parkett und den Rängen so gründlich unter Strom setzt wie mit dem zweiteiligen Abend „Animal Park“ und „Crossing Silence“.

Die zweitgenannte Choreografie des zuletzt am Ballettheater München engagierten Alessandro Pereira wurde in Braunschweig uraufgeführt. Bei den ebenfalls durch ihn ausgewählten Kostümen und einer aus acht Pendellampen beschränkten Bühnenausstattung hält sich der 25jährige Tänzer und Choreograf zurück. Er schlägt einen Tausch Bewegung ohne Garnitur gegen Aufmerksamkeit vor. Für paar Sekunden löst die Eröffnungsszene den Titel ein: Tänzer und Tänzerinnen sind im Halbdunkel positioniert und es ist nichts zu hören. Vielleicht ist das die Zeit für die Stille, die Bühne zu queren. Das Solo zu Anfang und jenes zu Ende haben ihren Platz in einem runden Feld Licht. Doch über diesen technischen Punkt hinaus haben die Darstellungen von Luca Marazia und Nelson Rodriques-Smith nichts miteinander zu tun. Im Bogen der Choreografie dickt Joby Talbots Minimal Music Luft und Blut ein. Im sonoren Kontrabass verheddern sich die Streicher des Quartetts mehr und mehr. Die Entwicklung der Klänge nehmen die Tänzer exzessiv auf; „Crossing Silence“ wird reich an Dissonanz. Im über den Boden ziehenden Licht sind die vier Männer keuchend ausgestreut, an der Bühnenrückwand verteilt stehen die Frauen und gehen wenige Schritte auf das Publikum zu. Die Hände der drei fassen dabei die eigenen Ellbogen, die Unterarme liegen übereinander, als trügen sie einen Käfig vor sich.

Für den Tanz in der Gruppe fällt Ablösung als wiederkehrendes Motiv auf: Bei Pereira sind vier meistens drei plus einer. Wo sich Tänzer strecken, zu Boden legen und rollen, fällt häufig bald ein Einzelner ab; was den Soli als Auftakt und Schluss entspricht. Dabei bleibt zuletzt nicht einmal der individuelle Körper als Organ koordinierten Zusammenspiels. „Crossing Silence“ ist mit schätzungsweise zwanzig Minuten knapp gefasst. Nicht anders als im anderen Stück des Abends setzt das Kopenhagener Ensemble die eigenwillige Arbeit genau und in selten gesehener Heftigkeit um.

Leichtes Bedauern empfindet man nur über die Platzierung des abstrakten Stückes im Anschluss an Tim Rushtons längerer und leichter fassbaren Choreografie „Animal Park“. Denn diese gestisch oft ganz konkrete Studie zum Thema „Ego – die Welt bin ich und ist meins“ vermittelt die Gruppe über alle denkbaren Register der Tanzkunst.
Las Vegas–like schwört Sören du Hoffmann am vorderen Bühnenrand, er allein sei der Akt und die Show. Er sieht blendend aus, doch wenn bald Wubkje Kuindersma ihren Oberkörper in dunkel-transparenter Verpackung nach vorne schiebt und laszive Dehnungen aneinander reiht, dann stellt sich nicht mehr Frage „Ihn oder Sie“, sondern der Blick wechselt zwischen beider Gehege und zu regeln ist bloß die Reihenfolge, in der man diese Scheusale mit Haut und Haaren kennenlernen will. Die dabei trieblich angelegte Bahn demonstrieren Nelson Rodriques-Smith und Szabo Csongor in schlauchengen Hosen einer ihre Sehnigkeit noch übertreffenden Gier.

Unter den sonstigen Individuen in diesem Tierpark schätzt sich zumindest eines glücklich, dass es sich nicht mit weiterem Werben stressen muss: Luca Marazia hat vom ersten Auftritt an in Heloise Vellard ein Wesen, welches ihm verfallen ist. Gebogen, gehoben und gewendet ist sie puppenartig weich. Ihr Leib passt sich seinem an, der wie pures Quecksilber scheint. Quasi als Nachhut erscheint Laura Lohi im Bühnenraum. Von den hyperaktiven Exoten hebt sie sich durch ruhige, gerichtete Schritte ab und trägt eine Stange als Requisit. Mit schon herumliegendem Metall fängt sie ein Modellhaus zu bauen an. Dessen Flanken stehen nur kurz aufrecht. Dann ist auch für sie Beutesein oder Beutemachen Bestimmung und Ziel.

Unnachgiebige Trip Hop Rhythmen temperieren den „Animal Park“. Fetzen aus womöglich französischem Funkverkehr verursachen Wirrnis. Ambientklänge von Biosphere gewähren zwischendurch Phasen zum Luftholen, doch das Kollektiv ist bald umso tiefer im Schlund abwärts unterwegs. Im grellen Deckenlicht von Mikael Sylvest treten Alessandro Pereiras Augen in finstere Höhlen zurück, der muskulöse Brasilianer heftet eine „weiße Frau“ in seine Arme und teilt mit ihr die Luft. Aber nicht nur um ihn blitzen nach jeder abrupten Bewegung fliegender Schweiß im Rampenlicht auf.
Dieser mit gefährlich lebhaften Individuen vorwiegend europäischer Aufzucht besetzte „Animal Park“ sucht zum einen tänzerisch seinesgleichen. Doch davon abgesehen findet Choreograf Tim Rushton einen überzeugenden Schluss, so dass im Moment verglimmenden Bühnenlichts für den einen oder anderen sehr still eine an die Jugend adressierte Liebeserklärung nachhallen wird.

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