Peer auf dem Weg zu Hamlet

Marijn Rademaker gastiert in Spoerlis "Peer Gynt"-Produktion

oe
Zürich, 04/10/2008

Wiederaufnahme der erfolgreichen Spoerli-Produktion von „Peer Gynt“ aus der letzten Spielzeit. Eine Samstagabend-Abo-Vorstellung. Mehr als volles Haus, sogar die Stehplätze sind ausverkauft. Trotz des enormen Personalaufgebots – alles live: das Ballett samt Solisten sowieso, aber auch der Schauspieler, die Sängersolisten, Orchester und Chor – welches Opernhaus leistet sich das heute sonst noch? Die Einstudierung bedeutet eine enorme Aufwertung Griegs – zu einer „Choreografischen Aktion“, die anschließt an Berlioz‘ „Fausts Verdammnis“ und Schumanns „Paradies und die Peri“ und seine „Faust-Szenen“. Und an Ibsen ohnehin – durch den neu hinzugekommenen Schauspieler Philipp Schepmann als Alternativ-Peer, der seine Texte so deklamiert, dass man sie auch über dem Orchester-Akkompagnement (nach wie vor unter dem Dirigenten Eivind Gullberg Jensen) versteht.

So gewinnt der Abend eine theatralisch-musikalische Stringenz wie sie der neue Stuttgarter „Hamlet“ so schmählich vermissen lässt. Mit klar definierten geografischen Schauplätzen und dreidimensionalen Charakteren, die bei aller Träumerei und Spintisiererei aus ihren realen Aktionen abgeleitet sind, und deren Entwicklung wir mit Spannung verfolgen. Zumal wenn sie so fulminant getanzt werden wie von der Zürcher Kompanie mit (fast) allen Solisten, die sich hier als Multilinguisten(-pedisten?) bewähren – klassisch versiert, folklorehaft mit nordischem Akzent und exotisch-afrikanisch verfremdet, grotesk-surrealistisch überspitzt (in bester Zürcher Dada-Tradition). Wenn auch die Dramaturgie im zweiten Akt leicht ins Schleudern gerät, so sorgt doch der ergreifende Schluss für ein beeindruckendes Theaterereignis ersten Ranges, ballettgezeugt und so tanzsatt, dass man von der Fülle der Bilder förmlich überwältigt wird.

Erstmals tanzt an diesem Abend Marijn Rademaker, Erster Solist des Stuttgarter Balletts, den Peer – ein holländischer Tanz-Conquistador aus dem Geschlecht jener Holländer, die einst die halbe Welt kolonisiert haben. Blond, schlank, gestählt, mit einer Sprungfeder anstelle des Rückgrats durchfliegt er die Räume dieser Produktion wie eins der norwegischen Ski-Asse – und ein Herzensbrecher obendrein. Wenn Peer in unzähligen Kommentaren oft als „nordischer Faust“ beschrieben wird, so lässt Rademakers erotisches Draufgängertum eine gewisse Verwandtschaft mit Don Juan vermuten. Aber dann ist sein Peer im Laufe seiner Welterkundung einer, der, wie bei Ibsen, einer Zwiebel gleicht, die Schale um Schale abwirft, um letzten Endes wo anzukommen? Doch nicht etwa in Helsingör – in einer Rolle, die ihm Neumeier vielleicht bei seinem vierten Versuch, sich des unbotmäßigen Stoffes zu bemächtigen, auf den Leib choreografieren könnte?

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