Niveau auf professioneller Höhe

Zum vierten Mal: das SidebySide-Internet-Festival

Düsseldorf, 07/09/2008

Der Zuspruch ist ungebrochen: 150 Bewerber/Innen, hauptsächlich aus europäischen Ländern, aber auch aus den USA, Israel, Weißrussland, legten ihre Videoarbeiten vor, um am diesjährigen, dem vierten Internet-Tanzfestival SidebySide-net, teilzunehmen. Sechs von ihnen wurden von einer Jury ausgesucht: Vier Frauen, zwei Männer. Ihre je vierminütigen Choreografien sind bis Ende September im Internet unter www.side-by-side.org abrufbar. Die Zuschauer können abstimmen, sie entscheiden, wer den Lorbeer davonträgt.

Das Niveau hat sich stabilisiert auf einer professionellen Höhe (bis auf die meist profillose Musik), nichts ist peinlich daneben, aber auch nichts herausragend wie etwa Rafaele Giovanolas „Love & other strangers“ 2006 oder Maura Morales' „Hypochonder“ und Fidel Neri Juarez' „Life Steps“ 2007. Vier von ihnen steuern die Musik selber bei. Kühl zieht die Brasilianerin Magali Sander Fett ihr „Souvenir“ durch: Zwei alte Frauen reden über ihre Vergangenheit, während sie im Frisörsalon auf ihren Haarschnitt warten. Sie werden immer wieder eingeblendet, bestreiten auch die Finalmomente bis zu „Müssen Ihre Haare geschnitten werden“, wenn schon der Abspann läuft. Als totale Gegensätze agieren zwei Tänzerinnen (Agata Zatac und Fett) gekleidet wie High-Society-Damen mit modischen Hüten und knappen Kleidchen, auf Drehstühlen, vollführen darauf im Drehen hochnäsige, auch obszöne Posen, zeigen ihre langen Beine, als ob sie einen Dialog führen wollten, reden selber Unverständliches, bis sie schließlich unvermittelt von den Stühlen fallen. Die Musik (Matthias Kluge) dazu wirkt wie rhythmisiertes Geplapper. Drei Sterne für die Professionalität, auch des Filmischen, aber nur zwei Sterne für die Inspiration.

Ähnlich ergeht es mir bei „Night“ der Deutsch-Argentinierin Carolina Zimmermann, in der sie mit verschobenen Perspektiven arbeitet, die eigentümlich faszinierende Momente erzeugen: Die Tänzerin Mami Iwai scheint an der Wand, an der Decke zu schweben, wobei sie die Eingangssequenz, am Boden liegend, wiederholt. In ihrem schwarzen Kleid mit freien Schultern wirkt sie durch die besondere Beleuchtung sehr ästhetisch, ein erotisch körperlicher Anblick mit dem Muskelspiel ihrer Schulterpartie. Schwächer wird’s, wenn sich die Szene öffnet, Mami Iwai sich in einem Saal wiederfindet, sich dort hin und her bewegt mit abrupten Wechseln der Raumposition, als finde sie ihre eigene Richtung nicht. Schnelle Schnitte. Schließlich hockt sie am Boden als suche sie etwas, eine Bewegungsfolge in Zeitlupe schließt sich an, mit einem Sprung reißt die Aktion ab. Es ist tatsächlich eine Art Patchwork, wie es Zimmermann nennt, allerdings mit dem Beigeschmack der Beliebigkeit. Drei Sterne für die zauberhafte erste und dritte Szene, zwei für die schöpferische Leistung insgesamt.

Die formale Ästhetik spielt auch bei Shang-Chi Sun (Taiwan) eine große Rolle: Nie entgleiten in „Walk Faster“ seine fünf Tänzer und Tänzerinnen ins Rohe, Ungeschliffene, Aggressive. Zum ostinaten Tuckern der Tonbegleitung (von ihm selbst) entfalten sich zwei Sphären: In der einen entwickelt Sun eine geschmeidige, in Wellen durch den Körper gehende, fließende Folge für Solo oder zwei, drei, die sich in einem Lichtrechteck mit auslaufender Spitze am unteren Ende vollzieht. Sun zeigt eine ausgesprochene Begabung für bruchlos verlaufende tänzerische Abläufe, dadurch fällt er heutzutage auf. Dagegen setzt Sun das Hantieren mit roten Stühlen, von seinem Ensemble sehr geschickt zu verschiedenen Formen wie Skulpturen aufgestapelt, zu Beginn von einem Mann auf den Schultern gehalten. Zum Schluss am Boden aufgerichtet, bleibt die Stuhlplastik im Spot, während alle Tänzer abgehen. Sun meint dazu: „Wir beobachten Effekte, aber nicht die Ursachen der Realität.“ Aha. Vier Sterne für die reinen Tanzsequenzen, drei für die Gesamtproduktion.

In ihrem Stück „Sizia“ will die Kölnerin Ilona Pászthy „offenkundige Differenzen zwischen Schein und Sein“ und die daraus resultierende Isolation darstellen – ihre Personen sind immer wieder vereinzelt, auch dort, wo sie zueinander zu kommen scheinen. Ein Glaskäfig dient als Synonym für das Abgeschottet-Sein: Getrennt durch eine Scheibe ist eine Kontaktaufnahme nicht möglich. Durch rasanten Wechsel entgeht Pászthy haarscharf der penetranten Eindeutigkeit – ein genau austarierter Balanceakt. Er sieht sie an, gestikuliert Annäherung, sie dreht sich weg, spielt mit ihren Haaren; eine Frau setzt sich auf eine andere am Boden kauernde, die sie wegschubst; sie hockt auf seinem Rücken, er wirft sie rüde ab; Frau wehrt aufdringlichen Mann ab. Dazwischen schieben sich überstrahlte Abschnitte, in denen Gesichter, Körper im ausgefressenen Weiß kaum zu erkennen sind. Keine Konturen - keine Kontakte. Pászthy treibt das Geschehen bis zum Verkauf von Körperteilen: Zwei Hände im Pack für acht Euro, 25 Euro für alles im Sparpaket. Da hat der vordergründige Gag übernommen. Für die Konsequenz, die vielfältigen Momente: Vier Sterne.

Plakativ im Scheinrealen ist Amat Katz (israelisch) mit ihrer „Number 8“ verhaftet, in der sie Überwachung zum Thema zu machen versucht. Die Bedrohung erwächst offenbar aus den Texten, die aus dem Off gesprochen werden, in Hebräisch, wie es mir scheint. Ein grünes Häuschen mit rotem Dach dient als Objekt der Überwachung, von außen und allmählich auch von innen. Die zwei Frauen (Revital Gottshalk und Katz) wuseln um die Hütte herum, schauen rein, klettern aufs Dach. Plötzlich laufen beide verdreht wie fremdartige Wesen, unterdrückte Schreie, Fäuste in den Mund gestopft, Horrorstimmung. Sie drehen in sich, drehen aus sich mit Körper und Armen, unterhalten sich stumm mit sprechenden Gesten, die auf die Texte aus den Lautsprechern zu reagieren scheinen. Die eine zieht die andere ins Haus, der Song „it’s all in your mind“ erklingt. Sie liegen auf dem Dach, Schüsse krachen, die zwei sacken zusammen. Das rabiate Ende wird nicht legitimiert durch das Vorausgegangene.

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