Gefühlswirrwarr

„Sommernachtstraum“ von Gregor Zöllig in Zusammenarbeit mit den Tänzern

Bielefeld, 28/10/2008

Nichts ist mehr, wie es vorher war, so scheint’s in Gregor Zölligs neuestem Tanzabend, dem umgekrempelten „Sommernachtstraum“ zu enden. Jedoch: Der Vorhang zu und viele Fragen offen: Waren die Paare, die auseinanderbrechen, je wirklich zusammen, gab es echte Familienbindungen oder übertünchte Konvention die Risse, die sich nach und nach offenbaren im Verlauf des Abends? Zöllig und seine zehn mitreißend intensiv agierenden Tänzer und Tänzerinnen halten das Geschehen letztlich in der Schwebe, lassen in Abgründe der Triebe schauen, beschwören Liebesträume, zeigen die Mühsal der Kontaktsuche. „Catch me“ rufen sie sehnsuchtsvoll in einer Szene - und kippen aus der Senkrechten.

Ausgangspunkt des Geschehens ist eine Wohnbox mit unverwüstlichem Mobiliar, gepanzert mit Rüsterfurnier, in dem Theseus und Hippolyta kurz vor ihrer goldenen Hochzeit hocken und auf die Gäste warten, zuerst mit verhüllten Köpfen (sie haben einander nichts mehr zu sagen?). Dann erscheinen die Mitglieder ihrer Familie, mit Namen wie bei Shakespeares Drama, in dem der Gefühlswirrwarr Methode hat. Die tödliche Bedrohung aus dem Original für die widerspenstige Hermia wird ausgespart, Theseus ist halt nur Großvater, nicht Herzog.

Der Kontakt untereinander ist mager, der Fernseher zieht eher an. Zettel, im Handwerkerzeug, kriecht zu Beginn auf dem oberen Rand der Box herum, repariert außen hier und da, was im inneren Gefüge schon längst nicht mehr zusammenhält. Dann gleitet die Wohnbox (Ausstattung: Hank Irwin Kittel) nach hinten, kippt ab und aus dem Unterboden erstrahlen Sterne, Nebel wallt auf in dieser Sommernacht, in der sich die Paare treffen und trennen. Dazwischen Puck (Elvira Zúniga, choreografisch etwas stiefmütterlich behandelt) als pubertäre Tochter Titanias und Oberons, die nichts kapiert von dem, was um sie herum passiert. Das alte Paar ist nicht eingebunden in den weiteren Verlauf, taucht nur am Ende wieder auf , wie die drei Kinder von Felix und Athena, Gestalten, die Zöllig zu Shakespeares Personal dazu erfunden hat.

Die Duos sind choreografisch durchweg ansehnlich. Wie aus dem verliebten Miteinander, dem zärtlichen Streicheln zwischen Hermia/Lysander durch den mehr und mehr angeheizten Lysander eine Fast-Vergewaltigung mit Griffen zum Busen und mit rüdem Rockanheben wird, das zeigt Zölligs Vermögen, Entwicklungen subtil auszuformen. Kristin Mente (Hermia) und Gianni Cuccaro (Lysander) verkörpern die schmerzlichen Zwiespälte suggestiv. Sie befreit sich vom Zugriff. Lysander reagiert seinen Triebstau ab an einer riesigen aufblasbaren Puppe, die mit ihren Riesenbrüsten und feist ausladendem Hintern der steinzeitlichen Venus gleicht: Auf dem Niveau ist die Menschheit, der Mann geblieben?!

Schwungvoll zelebrieren Zettel (Simon Wiersma ohne Eselskopf) und Titania (Mirana Hania) ihre frisch erwachende Liebe, ihr Verlangen. Ihr Werben umeinander rutscht wirkungsvoll ins Komische, wenn sie am Telefon nur noch endlose Wiederholungen stammeln können. Ort: Ein Café mit Telefon auf den Tischen, wo die Menschen nach Kontakten lechzen, die Nähe aber nicht finden, sich wie in einem Sexlokal anbieten an Stangen, die senkrecht aus der Mitte der Möbel herausragen. Schnell einig sind sich auch Oberon, Titanias Gatte (Wilson Mosquiera), und Athena (Anna Eriksson), die unbekümmert ihr Techtelmechtel ausleben. Vehement wirft sich Helena (furios, ohne Rücksichten auf sich: Brigitte Uray) auf Demetrius (körperlich kraftvoll, psychisch schwächlich: Tiago Manquinho), der am Ende ihrem tragikomischen Ansturm erliegt.

Dass Zöllig sich nicht an die Dramaturgie des Stückes hält, rächt sich, wenn unvermittelt ein Streit ausbricht: Lysander attackiert Demetrius, versucht Helena von ihm wegzuziehen, seine eigentliche Geliebte Hermia dazwischen. Warum, wird nicht aus dem Vorher (ohne Zaubertrank) ersichtlich. Oder ist's wieder der Triebstau Lysanders aus seiner „unerfüllten“ Begegnung mit Hermia?! Zölligs sorgfältige Musikauswahl - darunter Stücke von Philipp Glass, Espana antigua (Jordi Saval), Klangwart, Lautenspieler Stephen Stubbs - zu den einzelnen Szenen mit einem immer wieder auftretendem Knarzen dazwischen, als streue jemand Sand ins zwischenmenschliche Getriebe, betont die eher sanfte Seite (Renaissancestil), wird selten rabiater, wirkt dadurch auf die Dauer einlullend. Mit erstarrten Mienen, in festgefrorener Pose versammelt sich die Familie zum Finale. Nur Demetrius und Helena turteln verliebt, Puck zieht einen Schmollmund, Zettel schaut verlangend zu Titania. Die drei Kinder singen ein Volkslied über das Lieben - Aus. So recht ist Zöllig trotz ansehnlicher Passagen und exzellentem Ensemble nicht der Beweis gelungen, dass sein Sommernachtstraum zu neuen Ufern aufbricht, im Tanz über Shakespeare hinaus. Heftiger Beifall des gut gefüllten Hauses.

 

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